: Christian Bartel
: Ich bin nicht in meinem Alter Geschichten
: Satyr Verlag
: 9783947106752
: 1
: CHF 9.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 198
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
An guten Tagen steht Christian Bartel mit Prunkzigarette auf einem Streitwagen aus Schweinemett, während sein Arzt in einem Brokkoli-Kostüm hinter ihm steht und 'Bedenke, dass du unsterblich bist' in sein Ohr flüstert, während die Menge seine hervorragenden Leberwerte chantet. An schlechten Tagen sucht der Mittvierziger im Möbelhaus schon mal nach einem gemütlichen Sterbebett. Inmitten dieser Anfechtungen nimmt sich der preisgekrönte Autor und Satiriker trotzdem die Zeit, in seinen hochkomischen Geschichten andere drängende Menschheitsfragen zu behandeln: Wie schmecken eigentlich Engel? Schnarchen Frauen? Und darf man unangemeldeten Besuch in die Abstellkammer sperren? In seiner neuen Geschichtensammlung fühlt der Bonner Autor, Satiriker und Redakteur dem Zahn der Zeit auf denselben. Mit überbordender Fabulierlust und morbider Freude am eigenen Verfall umkreist er das Befinden der alternden Generation X und wirft die Frage auf, wann man eigentlich in seinem Alter ist.

Christian Bartel wurde 1975 in Bonn geboren und arbeitet als freier Autor. Er war Mitherausgeber der Literaturzeitschrift 'Exot' und Mitorganisator des Kölner Off-Lesefestes 'Little Cologne'. 2005 wurde er deutscher Poetry-Slam-Vizemeister, 2014 lud ihn der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) als 'Writer in Residence' an die Universitäten Edinburgh, St. Andrews und Newcastle. Bartel ist Mitglied der Lesebühnen 'Rock´n´Read' (Köln) und 'Ferkel im Wind' (Bonn), schreibt komische Geschichten und erhielt dafür 2018 den renommierten Ben-Witter-Preis. Er veröffentlichte zwei Geschichtenbände, u. a. bei Satyr, einen 'Zivildienstroman' und ein unsachliches Sachbuch über das Rheinland. Daneben verdingt er sich als freier Redakteur der taz-Wahrheit, schreibt Bühnenstücke und verfasst Radiogeschichten für Kinder ('Ohrenbär', 'ARD-Kinderradionacht') und Erwachsene ('Schreckmümpfeli', SRF). Christian Bartel lebt mal auf dieser, mal auf jener Rheinseite, aber noch immer häufig in Bonn.

Sport hilft


Der Arzt sagt, ich soll Sport treiben.

»Aber ich treibe doch Sport«, antworte ich.

»Na sicher«, sagt der Arzt. »Das sieht man.«

Mein Arzt ist um die fünfzig, auch im Winter braun gebrannt und hat kein Gramm Fett am Körper, dafür unzählige Marathontrophäen in einer Vitrine im Behandlungszimmer, mit denen er uns Todgeweihte verhöhnt. Und so ein Genlotteriegewinner will nun Ahnung von Siechtum und Verfall haben?

Sport soll ich also treiben, findet der Medikus.

Ich schaue ihn traurig an, greife dann in das Glas mit den Bonbons für die ganz tapferen Kinder, das auf seinem Schreibtisch steht, und stopfe mir demonstrativ eine ganze Handvoll in den Mund, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Er schüttelt den Kopf.

»Das sind keine Bonbons«, sagt er. »Wir sind hier nicht beim Kinderarzt.«

Ich spucke die Kieselsteine aus. Ich hatte mich gleich gewundert, dass da ein Kaktus im Bonbonglas wächst.

»Wenn Sie sagen, dass Sie Sport treiben, dann glaub ich Ihnen das natürlich«, sagt er, dann schaut er skeptisch auf meine Körpermitte. »Gibt ja auch Trinksport, ne?«, kichert er.

Mein Arzt findet so was lustig.

Er ist nämlich nicht bloß unsensibel, er hat auch ein Ironieproblem. Er versteht einfach nicht, dass dieses Stilmittel in seinem Beruf vollkommen fehl am Platz ist. Ich zeige auf meinen Bauch. Nicht der Plauze wegen, die einer verschärften Leibesertüchtigung in die Bresche wächst, sondern weil ich dort wichtige Informationen für meinen Arzt notiert habe.

»Empathie statt Ironie!« steht auf meinem T-Shirt, darunter habe ich noch eins an, auf dem »Der Patient hat immer recht« steht, und auf meinen Rücken ist sicherheitshalber der hippokratische Eid tätowiert, falls ich mich obenrum frei machen muss.

Da