: Christiane Schmidt
: Kandinskys physikalische Kreise - Kunst als Medium naturwissenschaftlicher Erkenntnis Untersuchung der Schriften des Künstlers und seiner abstrakten Bildwelt der zwanziger Jahre unter Heranziehung von Gesichtspunkten moderner Physik
: VDG Weimar - Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften
: 9783958992962
: 1
: CHF 17.90
:
: Bildende Kunst
: German
: 426
: kein Kopierschutz/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Wassily Kandinsky (1866-1944) kann zu jener Gruppe von Künstlerpersönlichkeiten gerechnet werden, deren Arbeit von der Suche nach allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten von Kunst und Natur geprägt war. Wurde der Pionier der abstrakten Malerei allerdings immer wieder unter Verweis auf sein Interesse an Theosophie, spiritistischem und religiösem Gedankengut in das Lager der Naturwissenschaftsskeptiker verbannt, so kann unter Heranziehung des von der Kandinskyforschung bislang unberücksichtigten Bestandes an deutschsprachigen Wissenschaftsbüchern aus dem Besitz des Künstlers (Kandinskyarchive im Musée National d'Art Moderne in Paris) aufgezeigt werden, dass Kandinsky das 'Geistige' nicht nur auf das Intuitiv-Künstlerische reduzierte, sondern es verstand, seine malerische und theoretische Suche mit wissenschaftlich orientiertem Forschergeist zu paaren. Vorliegende Studie geht der Frage nach, inwieweit und über welche 'Kanäle' sich der Künstler mit den aktuellen physikalischen Theorien seiner Zeit, mit Relativitäts- und Quantentheorie auseinandergesetzt hatte. Dabei zeigt sich, in welchem Maße sich Kandinsky nicht nur in seiner Privatkorrespondenz sowie theoretischen Schriften immer wieder auf die Naturwissenschaften bezog, sondern dass auch gerade seine bildnerischen Arbeiten den den naturwissenschaftlichen Theorien des 20. Jahrhunderts zugrundeliegenden Wandel von einem statischen zu einem dynamischen Weltbild reflektieren. Im Blickpunkt stehen die Studienjahre Kandinskys an der Moskauer Universität, sein Mitwirken am Aufbau einer Akademie für Wissenschaft und Kunst während der Revolutionsjahre in Russland und die Lehre am Bauhaus bei der Untersuchung der konkreten Kontaktmöglichkeiten des Künstlers zum wissenschaftlichen Milieu seiner Zeit. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung Kandinskys mit Sachliteratur aus dem Bereich der Physik und Mathematik und einer unter diesem Aspekt durchgeführten Neulektüre seiner theoretischen Stellungnahmen zeichnet sich immer deutlicher ab, dass der Abstraktionsprozess nicht das Auflösen des Gegenstandes als solchem zum Ziel hatte, sondern Ausdruck einer neuen Raumerfahrung war, die als Sichtbarmachung von integriertem Betrachterblickpunkt und gewandelten Wahrnehmungskriterien zum Inhalt der bildnerischen Arbeit wurde. Nur so lässt sich Kandinskys Rückkehr zum Figürlichen im Zeitraum von 1914 bis 1916 und sein Konkretisieren von malerischen, nicht-narrativen Bildelementen in den folgenden Jahren verständlich machen, ohne fälschlich mit zeitlich zur bildimmanenten Entwicklung diskrepanten Einflüssen der russischen Avantgarde bzw. der Bauhauskollegen und -Doktrin argumentieren zu müssen. Ein allgemeiner geschichtlicher Überblick zu den Naturwissenschaften der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie speziell die Erörterung von Terminologie und Inhalt der Relativitäts- und der Quantentheorie liefern die Voraussetzung für eine Analyse des malerischen Bildraums der Kompositionen des Malers in den zwanziger Jahren. Es geht bei der Argumentation keinesfalls darum zu zeigen, Kandinsky habe sich für die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Zeit interessiert, um diese gestalterisch umzusetzen, sondern anhand dieses Fallbeispiels die fließende Grenze bei der Erkenntnis und Sichtbarmachung einer neuen Wahrnehmungsdimension von Raum als dynamische Raum-Zeit, d. h. des Bewusstseins von einem 'in-der-Welt-sein' zu einem 'in-der-Welt-werden' deutlich zu machen.
Cover1
Impressum5
Danksagung8
Inhalt10
Einleitung14
1. Wassily Kandinskys russisches Erbe. Eine Analyse des gesellschafts-politischen Hintergrundes des Ku¨nstlers32
1.1. Zur Ausgangssituation: Russische Künstler in Deutschland. Tradition und Novum32
1.2. Die Bedeutung von Russlands gesellschafts-politischen Veränderungen im Zusammenhang mit dem internationalen Aufstieg der russischen Kunst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts40
1.2.1. Ansatzpunkt einer sozial engagierten Kunst: das zeitgleiche Heranwachsen der russischen Intelligenzija und des Strebens nach einer nationalen Kunstform41
1.2.2. Der Loslösungsprozess von der akademischen Vorherrschaft als Antriebskraft auf dem Weg zu einer national eigenständigen Kunst48
1.2.3. Das Sendungsbewusstsein der russischen Symbolisten auf dem Weg zu einer international wettbewerbsfähigen Kunst52
1.2.4. Das soziale Engagement als Charakteristikum und Brennpunkt des Verhältnisses der russischen Naturwissenschaften zur russischen Kunst auf dem Weg zum Universalkunstwerk65
1.3. Fallbeispiel Kandinsky: seine Stellung in und sein Blick auf die russische Gesellschaft82
2. Werkanalyse unter Berücksichtigung bildimmanenter Kriterien100
2.1. Kandinskys malerisches Œuvre: vom Pferd zum Kreis100
2.1.1. Wassily Kandinskys „Ru¨ckblick“ des Jahres 1924. Eine formale Einfu¨hrung in die Welt der zentralen russischen Bildmotive: die Jahre 1898 bis 1916103
2.1.2. „Das gesamte innere und äußere Moskau“ als Ursprung der Bestrebungen des Ku¨nstlers. Eine Untersuchung von Entwicklung und Bedeutung einzelner werkbestimmender Motive117
2.1.3. Das Prinzip der „Gegensätze und Widerspru¨che“ als Leitfaden auf der Suche nach Primärfarben und -formen. Die Zeit der Entdeckung eines neuen Raumkonzeptes: 1916 bis 1933136
2.2. Kandinskys theoretisches Œuvre: vom geistigen zum konkreten Prinzip151
2.2.1. Die Beziehung zwischen malerischem und schriftlichem Œuvre: Versuch einer Definition der Hauptschriften Kandinskys152
2.2.2. Inhaltliche und stilistische Untersuchung der Hauptschriften Kandinskys: der Grenzgang zwischen einer bildhaft ideell geladenen Sprache und einem wissenschaftlich analytischen Diskurs159
3. Wassily Kandinsky und die Naturwissenschaften. Eine Inhaltsanalyse der schriftlichen Arbeiten des Künstlers auf der Suche nach einer neuen Dimension170
3.1. Einleitende Diskussion: inwieweit ist die Annäherung von Kunst und Naturwissenschaft vertretbar?173
3.2. Der Verbreitungsgrad und -einfluss naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts181
3.2.1. Die beiden großen Theorien des Jahrhundertbeginns: Relativitätstheorie und Quantentheorie, und ihre Auswirkungen auf naturwissenschaftlicher Ebene bei der Entwicklung eines neuen Repräsentationsmodells der Realität182
3.2.2. Interpretationsmodelle zu naturwissenschaftlichen Theorien der Jahrhundertwende und Entwicklung von Realitätsbildern außerhalb der naturwissenschaftlichen Kreise206
3.2.3. Produktions- und Verbreitungsbedingungen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse während der Revolutionsjahre in Russland. Eine Untersuchung der Kontaktmöglichkeiten Wassily Kandinskys mit dem naturwissenschaftlichen Milieu224
3.3. Untersuchung von Kandinskys Veröffentlichungen und Briefen nach naturwissenschaftlichen Indizien252
3.3.1. Präsentation der heute zugänglichen Dokumente253
3.3.2. Lektu¨re des makrokosmischen Raumverständnisses bei Kandinsky. Definition des Bildträgers: die Einfu¨hrung des dynamischen Raums265
3.3.3. Lektu¨re des mikrokosmischen Raumverständnisses bei Kandinsky. Defintion des malerischen Objekts: die Aufgabe des festen Körpers274
3.4. Im Kreuzverhör: das naturwissenschaftliche Verständnis des Künstlers281
3.4.1. Untersuchung der naturwissenschaftlich ausgerichteten Bu¨cher der Privatbibliothek Kandinskys.283
3.4.2. Untersuchung der wissenschaftlichen Umgebung und des Unterrichtprogramms des Bauhauses312
3.4.3. Abschlussdiskussion: die fließende Grenze zwischen den naturwissenschaftlichen und den populären Repräsentationstheorien der Realität322
4. ‚1 – 1 = 2‘: Die Raum-Zeit-Malerei Wassily Kandinskys. Versuch einer alternativen Lektüre des malerischen Werkes Kandinskys326
4.1. Erlebnis: Raum-Zeit-Malerei. Gesammelte Stellungnahmen zu Zeiteindrücken vor dem Bilduniversum Kandinskys329
4.2. Kandinskys „zeitlose Zeit“ im Bild. Untersuchung der zeitlichen Komponente im malerischen Werk Kandinskys334
4.2.1. Allgemeines zum Zeitbegriff in der darstellenden Kunst335
4.2.2. Kandinskys naturwissenschaftlicher Zeitbegriff. Untersuchung von Kandinskys malerischem Werk nach Umsetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse342
4.2.3. Von den apokalyptischen Reitern zu den unendlichen Kreisen. Kandinskys symbolischer Zeitbegriff.351
5. Schlussbetrachtung – ‚Die große Synthese‘374
Ausgewählte Bibliographie396
Abbildungsverzeichnis416
Abbildungen418