: Kai Maaz, Michael Becker-Mrotzek
: Schule weiter denken Was wir aus der Pandemie lernen
: Duden
: 9783411913589
: Duden - Sachbuch
: 1
: CHF 11.70
:
: Gesellschaft
: German
: 160
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Was Eltern, Schüler und Lehrer im Frühjahr 2020 erlebt haben, ist vorher noch nie da gewesen: Ein ganzes Land ging ins Homeschooling. Wie nie zuvor nahmen die Eltern teil an der Schulbildung ihrer Kinder. Und die Lehrer mussten sich auf eine komplett neue Unterrichtssituation einstellen, auf die sie nicht vorbereitet waren. Alle Beteiligten fühlten sich überfordert und zum Teil alleingelassen. War das System schuld? Weil die Ministerien den Spagat zwischen Unterstützung und Autonomie der Schulen nicht schafften? Weil es bis heute keine einheitlichen Qualitätsstandards gibt? Weil die Digitalisierung viel zu lange schleifen gelassen wurde? Und es nicht gelang, Kinder aus kinderreichen und/oder bildungsfernen Familien mitzunehmen? Das alles sind Fragen, die keine Eintagsfliegen sind; sie werden auch nach der Pandemie noch offen sein, denn diese wirkte nur wie ein Brennglas, das die Probleme unserer Schulen offenbar werden ließ. Viele fragen sich: Was können wir aus den Erfahrungen des Lockdowns lernen?

Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Professor für deutsche Sprache und ihre Didaktik an der Universität zu Köln und Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache Dr. Martina Diedrich, Direktorin des Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg Prof. Dr. Birgit Eickelmann, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn Prof. Dr. Kai Maaz, Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Bildung und Gesellschaft an der Goethe-Universität Frankfurt und Geschäftsführender Direktor des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt und Berlin Prof. Dr. Susanne Prediger, Professorin für Grundlagen der Mathematikdidaktik am Institut für Erforschung und Entwicklung des Mathematikunterrichts der TU Dortmund Prof. Dr. Sandy Taut, Stellvertretende Leiterin der Qualitätsagentur am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München Prof. Dr. Mareike Kunter, Professorin für empirische Bildungsforschung und Direktorin des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt und Berlin

WER IST EIGENTLICH FÜR WAS VERANTWORTLICH?

Ein Blick auf die Strukturen

Martina Diedrich& Kai Maaz

Die Strukturen unseres Bildungssystems können selbst noch so engagierte Eltern zum Verzweifeln bringen, weil sie manchmal undurchschaubar scheinen. Grundsätzlich wird unterschieden in innere und äußere Schulangelegenheiten, für die die Zuständigkeiten an unterschiedlichen Stellen liegen. Mal ist der Bund verantwortlich, bei Schulangelegenheiten sind es in aller Regel die Länder, bei denen Zuständigkeiten liegen, und mal kommt auch noch den Schulträgern – zumeist den Kommunen – eine zentrale Rolle zu. Und selbst innerhalb einer Kommune gibt es noch Unterschiede und man fragt sich, warum es »gute« und weniger gute Schulen gibt. Ziehen Familien von einem Bundesland in ein anderes, scheint sich fast alles zu ändern. Insgesamt ist die formale Struktur unseres Schulsystems durch eine Unübersichtlichkeit gekennzeichnet, die auch für Fachleute eine Herausforderung darstellt. Dennoch: Wenn es darum geht, den Anforderungen von und an Schule gerecht zu werden und Schule weiterzuentwickeln, bilden die strukturellen Rahmenbedingungen, unter denen Schulen agieren, eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Voraussetzung. In Krisensituationen gewinnen sie noch mehr an Bedeutung. Wir alle fragen uns oft: Warum sind Veränderungen in Schule so behäbig? Warum wird nur so langsam, manchmal scheinbar zu langsam, auf aktuelle Entwicklungen reagiert? Und gerade in der Krise: Warum wurde nicht mehr und besser »von oben« gesteuert? Warum sind einige Schulen bislang relativ problemlos durch die Pandemie gekommen und andere hatten schon Schwierigkeiten, ihre Schülerinnen und Schüler überhaupt zu erreichen? Die Antworten sind vielschichtig. Verlässliche und gleichzeitig flexible strukturelle Rahmungen sind auch hier eine zentrale Voraussetzung für ein gelingendes Krisenmanagement. Wir wollen im Folgenden besonders solche Aspekte betrachten, die auch während der Corona-Pandemie von zentraler Bedeutung für die Steuerung der Schulen gewesen sind. Wir gehen dabei von dem Gedanken aus, dass die Einzelschule Teil eines Mehrebenensystems ist. Das heißt, dass die Steuerung der Schule unterschiedliche Ebenen umfasst und somit an unterschiedlichen Stellen ansetzen kann:

• Auf der untersten Ebene befinden sich dieeinzelnen Schülerinnen und Schüler, die mit ihrem jeweiligen familiären Hintergrund, mit ihren Begabungen und Interessen unterschiedliche Voraussetzungen für das Lernen mit in die Schule bringen.

• Schülerinnen und Schüler werden inKlassen oderLerngruppen zusammengefasst, in denen je nach Zusammensetzung der Schülerschaft unterschiedlich gut gelernt werden kann, je nachdem, wie die individuellen Voraussetzungen sich mischen bzw. entmischen.

• Die Klassen gehören jeweils zu einerSchule, die einerseits in Abhängigkeit von der Gesamtheit der Schülerschaft, andererseits in Abhängigkeit von den dort arbeitenden Lehrkräften und sonstigen pädagogisch Tätigen, von der Schulleitung, aber auch von der Qualität der Ausstattung und sonstigen materiellen Rahmenbedingungen unterschiedlich gut Unterricht und Schulleben gestalten kann.

• Schulen wiederum gehören in der Regel einer bestimmtenSchulform an. Neben den Grundschulen gibt es inzwischen in vielen Bundesländern nur noch zwei weiterführende Schulformen, die Gymnasien und eine Form von Gesamtschulen, an denen alle Bildungsabschlüsse entweder in integrativer Form oder in voneinander getrennten Bildungsgängen erworben werden können, zum Beispiel Sekundarschule, Mittelschule oder Regionalschule genannt. Es gibt aber auch noch Bundesländer, in denen das Schulsystem in der Sekundarstufe I stärker unterteilt ist und drei bis fünf unterschiedliche Schulformen zur Verfügung stehen, wie etwa Hauptschule, Realschule und Gymnasium (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2018, 2020). In der Sekundarstufe II treten berufliche Schulen, die vordergründig zu einem allgemeinbildenden Abschluss führen (z. B. berufliche Gymnasien), und die berufsbildenden Schulen hinzu.

• Auf der nächsthöheren Ebene finden sich dieSchulverwaltungen, einerseits die kommunalenSchulträger, die vor allem für finanzielle und Ausstattungsfragen zuständig sind, andererseits dieSchulaufsicht, die den grundgesetzlichen Auftrag zur staatlichen Aufsicht des Schulwesens wahrnimmt und für die Kultusmin