: Matthias Heine
: Krass 500 Jahre deutsche Jugendsprache
: Duden
: 9783411913114
: Duden - Sachbuch
: 1
: CHF 14.40
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: Gesellschaft
: German
: 272
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Krass, dufte, kolossal - Jugendsprache ist kein Phänomen unserer Zeit. Schon im 18. Jahrhundert pflegten die Studenten ihren eigenen Jargon und die Wandervogelbewegung lieferte den Nazis manches Lieblingswort. Matthias Heine zeigt, dass Jugendliche schon immer eigene Gruppensprachen nutzten - nach innen als Erkennungszeichen, nach außen als Abgrenzung und natürlich auch ganz einfach zum Spaß. Dazu zieht er Quellen wie Goethes Studentenwörtersammlung, Kästners 'Emil und die Detektive' oder die deutschen Synchronisationen der Beatles-Filme heran.

Matthias Heine, 1961 geboren, arbeitet als Journalist in Berlin. Von 1992 an hat er u. a. für 'Die Welt', 'Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung', 'taz', 'Cicero', 'Neon' und 'Theater heute' geschrieben und Radiobeiträge für den NDR und den SFB/RBB produziert. Seit 2010 ist er Kulturredakteur der 'Welt'. Zuletzt erschienen von ihm 'Verbrannte Wörter' (2019), 'Das ABC der Menschheit' (2020) und 'Eingewanderte Wörter' (2020).

WieTumult, Alkohol und Bandenwesen eine »eigene Kraftsprache« schufen

Die Entstehung eines Jugendjargons durchRandale vom 16. bis zum 18. Jahrhundert

Studententumulte sind keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, auch wenn uns unser historisches Kurzzeitgedächtnis dabei vor allem die 68er-Revolten in Erinnerung ruft. Vor 250 Jahren gebärdeten sich die Studenten viel krawalliger als heute. Die Häufigkeit und die Verbreitung ihrer Tumulte übertraf sogar alles, was sich in den Sechzigerjahren ohnehin nur in Berlin, Frankfurt und ein paar anderen großen Metropolen abspielte. Um 1750 rumste es selbst in Städtchen, deren Universitäten heute unter anderem deswegen längst nicht mehr existieren, weil Krawallmachen das einzige war, was die Studenten dort noch lernten. Sie duellierten sich und veranstalteten Saufgelage, die nach komplizierten und absurden Ritualen abliefen. Sie schikanierten diePhilister, wie sie sie die Arrivierten und Honoratioren ihrer Studienorte nannten, oder prügelten sich mitGnoten oderKnoten, den Handwerksgesellen, undSchnurrbärten, den vor Ort stationierten Soldaten. Nachts schmissen die Studiosi den Bürgern, die ihnen unliebsam geworden waren, die Scheiben ein oder veranstalteten anderen brutalen Unfug. Sie vergnügten sich mit Hürchen, für die sie die Ausdrückebarmherzige Schwestern oderNymphen prägten, oder gefährdeten die Unschuld naiver Mädchen vom Lande,Kattunbesen oderStaubbesen genannt, die als Haushaltshilfen in die Städte gekommen waren. Selbst die Sittsamkeit gut bewachter, braver Bürgertöchter, der sogenanntenFlorbesen, stellten die Jungakademiker auf die Probe.

In diesen unruhigen Zeiten bildete sich die älteste deutsche Jugendsprache heraus, über deren Existenz wir heute noch etwas wissen. Und sie entstand nicht nur aus Tumult und Randale; sogar die WörterTumult undRandale selbst sind Produkt jener Exzesse.Rand hieß in der schlesischen Mundart ein Menschenauflauf, im Bairisch-Österreichischen konnte es »Posse, Streich« bedeuten.1 Nach dem Vorbild vonSkandal bildeten die Studenten danach das seit dem frühen 19. Jahrhundert nachweisbare WortRandal (damals noch ohne e) und dazu die Ableitungenrandalieren, Randaleur undRandalist.2 Tumult kommt vom lateinischentumultus »Unruhe, Getöse, (Kriegs)lärm«. Die Studenten münzten es auf ihren Widerstand gegen die Obrigkeiten der Universitätsstädte um. So erklärt ein Wörterbuch von 1749: »Ein Tumult aber ist eigentlich nichts anderes, als ein gewisser Krieg, der daraus entstehet, wenn man den braven Burschen ihre Freiheit nehmen will.«3

Der Begriff »Freiheit« ist für uns heute äußerst positiv besetzt, und so könnten wir, ohne die Hintergründe genau zu kennen, durchaus Sympathien aufbringen für die Tumulte derBurschen oderPurschen, wie sich die Studenten seit dem 17. Jahrhundert selbst bezeichneten – eine Anspielung auf dieBursen, die Vorläufer moderner Studentenwohnheime, in denen alle idealerweise aus einer Kasse(Burse) zehrten. Doch was den Jungakademikern als Freiheit galt, empfanden die meisten ihrer Zeitgenoss