: Paul Plener
: Sie brauchen uns jetzt Was Kinder belastet. Was sie schützt.
: Edition A
: 9783990015247
: 1
: CHF 12.60
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: Psychologie: Allgemeines, Nachschlagewerke
: German
: 160
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Lockdown-Trauma, Wirtschaftskrise, Klimawandel und die ganze Welt in Veränderung: Leicht werden es unsere Kinder nicht haben. Was können wir ihnen mitgeben, damit sie ihre Aufgaben meistern werden? Wie können wir sie zu widerstandsfähigen und stabilen Menschen erziehen und Phänomene wie Handyspielsucht oder Essstörungen rechtzeitig erkennen und verhindern? Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Paul Plener zeichnet das Bild einer Generation mit Potenzial, die jetzt ganz besonders unsere Hilfe braucht. Leicht verständlich zeigt er, worauf wir achten mu?ssen, was die Gefahren sind und wie wir worauf reagieren sollten.

Univ. Prof. Dr. Paul Plener studierte Medizin und absolvierte eine Facharztausbildung fu?r Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie in Ulm. 2018 u?bernahm er nach leitenden Funktionen in Deutschland die Professur fu?r Kinder- und Jugendpsychiatrie und die Leitung der Universitätsklinik fu?r Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien/ Universitätsklinikum AKH. Er ist neben vielen weiteren Funktionen Mitglied des während der Corona-Krise eingerichteten psychosozialen Krisenstabs der Stadt Wien.

DIE ÜBERSEHENE GENERATION


Während die Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie an den Krankenhäusern schon immer deutlich ausgelastet waren, mitunter mit monatelangen Wartezeiten für stationäre Behandlungen, kamen während der pandemiebedingten Lockdowns so viele Patienten, dass wir Fachärzte die Zustände nicht mehr unkommentiert lassen konnten. Eine Weile sahen wir mit wachsendem Unbehagen zu, aber irgendwann war klar, dass wir an die Öffentlichkeit gehen und warnen mussten. Doch was passierte hier wirklich? Warum kamen ab dem Herbst 2020 auch Kinder ganz ohne typische Risikofaktoren und aus allen Gesellschaftsschichten? Woran litten sie und was genau hatte ihre Krankheiten verursacht? Wie konnten wir ihnen helfen? Und was können Eltern, Lehrer und Bildungs- und Gesundheitspolitiker daraus lernen, um unsere Kinder und Jugendlichen fit für die Zukunft zu machen?

Während des ersten Lockdowns war nichts. Es kamen sogar weniger Patienten als sonst. Denn ein paar Wochen keine Schule, das geht. Das sind Kinder und Jugendliche aus den Sommerferien gewöhnt. Die Situation war auch in gewisser Weise aufregend für alle. Es gab noch keine Lockdown-Müdigkeit. Es herrschte noch das Gefühl vor, jetzt müssen wir da durch. Das motivierte und gab Kraft. Auf einmal daheim bleiben können, mit ein bisschen Online-Unterricht, bei dem sie noch dazu zeigen konnten, dass sie auf diesem Gebiet ihren Lehrern und ihren Eltern zumeist überlegen waren, das war noch in Ordnung.

Doch im Spätherbst war alles anders. Die von einer gewissen Neugier und Abenteuerlust, aber auch von Zusammenhalt geprägte Stimmung des ersten Lockdowns war verflogen. Niemand wusste mehr so genau, wann dieses Durchhalten müssen ein Ende haben würde und alle sehnten sich mit wachsender Ungeduld und wachsender Resignation nach ein bisschen Normalität.

Rasch wurde die Lage prekär. Auch deshalb, weil jetzt alle, auch die Jugendlichen, verstanden oder zumindest spürten, dass hier mehr als nur ein vorübergehender Ausnahmezustand herrschte. Dass die Pandemie ein offenes Ende hatte und dass danach etwas kommen würde, das womöglich noch schlechter war. Etwas, das ihre ohnedies nicht rosigen beruflichen Zukunftsaussichten eintrüben und ihre Lebensentwürfe über den Haufen werfen könnte: eine Wirtschaftskrise nicht abschätzbaren Ausmaßes. Die kleineren Kinder verstanden das vielleicht noch nicht, aber sie konnten etwas davon spüren. Wenn eine Gesellschaft nicht mehr so recht weiter weiß oder verängstigt ist, dann beeinflusst das immer auch die Stimmung der Allerjüngsten.

Aus Sicht der Kinder- und Jugendpsychiatrie beinhalteten die Lockdowns alles, was in der Depressionsentstehung als auslösende Umweltfaktoren diskutiert wird. Die Kinder und Jugendlichen verloren den für sie so wichtigen Zugang zu Gleichaltrigen und gleichzeitig ihre täglichen Routinen, die ihnen Halt und Stabilität geben. Ihr Schlafrhythmus kam durcheinander, was Schlafstörungen verursachte. Vielen fehlte es an Bewegung und an frischer Luft. Schließlich erstreckte sich ihr Lebensraum nur noch zwischen Kinderzimmer, Bad und Küche.

Bei den Fällen psychischer Erkrankungen, mit denen wir Ende 2020 und Anfang 2021 zu tun hatten, zeigte sich uns Fachärzten ein ungewohntes Bild. Die klassischen Risikofaktoren Armut, »Broken Home«-Situationen oder durch Sucht und eigene psychische Erkrankungen belastete Eltern waren jetzt viel seltener anzutreff