Kapitel 1 – Erste Begegnung
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Abgründe. Jeder Mensch besitzt sie. Sie lauern im Verborgenen, oft unerforscht, zuweilen verdrängt. Einige sind bodenlos. Manche von solch einer Schwärze erfüllt, dass sie endlos erscheinen. Und in manch einem Abgrund lauern weitere Schlünde. Schlünde, die besser verschlossen geblieben wären.
– Dr. Phillip Meiners
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›Hausbesuche‹, wie Meiners sie nannte, gehörten zu den interessantesten Teilbereichen seiner Arbeit. In der Psychiatrie war er immer mit denselben weißen Wänden konfrontiert. Denselben langen Fluren und sterilen Büros. Besuchte er einen Patienten im Gefängnis, schlug sein Herz jedes Mal ein bisschen schneller. Er war nervös, sogar etwas aufgekratzt – eine willkommene Abwechslung zu der Wut und der alles verschlingenden Melancholie, die ihn sonst erfüllten.
Das Gefängnis in Grubingen besaß ebenfalls lange Flure. Sie waren grau und strömten Gefahr aus. Stimmen und der Klang von Gegenständen, die gegen die Stäbe der Zellen geschlagen wurden, hallten durch das Gebäude.
Meiners versuchte, sich seine Nervosität nicht anmerken zulassen, während er dem Wärter – einem breitschultrigen Mann mit kurzgeschorenen Haaren, der sich mit dem unpassenden Namen Benjamin vorgestellt hatte – folgte.
»Hey Süßer!«
Pfeifen.
»Verfickter Hurensohn!«
Schnarchen.
Meiners blickte starr geradeaus, ignorierte die Bemerkungen und Geräusche der Gefangenen links und rechts von ihm. Er fühlte sich an Das Schweigen der Lämmer erinnert und es hätte ihn nicht überrascht, wenn ihn am Ende des Ganges ein Stuhl erwartet hätte, der auf eine Glasscheibe gerichtet war, hinter der Hannibal Lecter ihn bereits mit verschlagenem Grinsen erwartete.
Es gab keinen Stuhl. Und keine Glasscheibe. Die Zelle unterschied sich nicht von den anderen. Grau und trostlos. Meiners musste zweimal hinsehen, um die Gestalt zu erkennen, die neben dem Bett kauerte. Im ersten Moment glaubte er, dort säße ein Kind. Tatsächlich handelte es sich um einen dürren Mann, der die Knie angezo