Berauscht euch, Freunde, trinkt und liebt und lacht
Und lebt den schönsten Augenblick,
Die Nacht, die man in einem Rausch verbracht,
Bedeutet Seligkeit und Glück.
(Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da)
Prolog: Ein Tanz auf dem Vulkan
Glückwunsch! Sie halten gerade ein außergewöhnlich spannendes Leben in den Händen! Im Idealfall können Sie daraus vielleicht Strategien zur Bewältigung eigener Krisen ziehen – und falls nicht, werden Sie sich zumindest keine Sekunde langweilen! Und das nicht, weil dieses Leben in jeder Hinsicht mehr Hollywood als kleines Fernsehspiel ist. Auch nicht, weil die Frau, um die es geht, ihr Leben in jeder Lage im Griff hatte. Ganz im Gegenteil. Aber mal ehrlich, wer möchte so etwas Langweiliges auch lesen, geschweige denn schreiben? Nein, Isadora Duncan war die Königin des Scheiterns, des Aufstehens, des Überlebens größter Katastrophen und Tragödien – und das alles mit einer ungebrochenen Leidenschaft fürs Leben und einem schier unerschütterlichen Humor: »Mein Leben ist eine Abfolge von Niederlagen. Dagegen bin ich schon seit langer Zeit immun.«
Sie war der erste weibliche Superstar des 20. Jahrhunderts und eine wahnsinnig anstrengende Person, kompromisslos und radikal. Starrköpfig, selbstbewusst und keck, litt sie auch unter schrecklichem Lampenfieber. Dennoch waren ihr Mut, ihre Großherzigkeit, ihre Loyalität, ihre Tollkühnheit, ihre Begeisterungsfähigkeit und ihr schier unerschütterliches Vertrauen in sich selbst grenzenlos.
Die Frontfrau des Modern Dance hatte blaue Augen, schwarzes Haar, das sie später mit Henna rot färbte, war nur etwas mehr als 1,50 Meter groß und redete, ganz gleich in welcher Sprache, immer mit einem leicht amerikanischen Akzent, der ihre Herkunft verriet. Sie gilt als eine der meistporträtierten Frauen der Geschichte, und zweifellos schieden sich an ihr die Geister.
Auguste Rodin hielt sie für die bedeutendste Frau, der er je begegnet war, ja, vielleicht sogar für die bedeutendste Frau, die je gelebt hat. Andere waren eher geneigt, dem amerikanischen Massenprediger Billy Sunday zuzustimmen, der sie als »bolschewistisches Flittchen« bezeichnete, »das nicht einmal genug Kleidung trug, um ihren Intimbereich zu bedecken«. Isadora Duncan war eine champagnertrinkende Rebellin mit Hang zum großen Drama und den falschen Männern. Manche fanden sie überspannt, andere göttlich, und der amerikanische Journalist Floyd Dell schrieb, man müsse Isadora Duncan tanzen gesehen haben, um glücklich sterben zu können.
Isadora Duncan war eine Weltfigur im hegelschen Sinne, die auch außerhalb ihrer Kunst eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Jahrhundertwende war. Schon zu Lebzeiten war die Duncan der Inbegriff einer unabhängigen Frau, die auf die herrschenden Moralvorstellungen pfiff und stattdessen Werte verkörperte, die zeitlos und universell sind. Politisch immer auf Seiten der Unterdrückten stehend schloss ihre aufrechte Haltung Genuss und Leidenschaft niemals aus. Der irische Künstler John Butler Yeats, Vater des Dichters W. B. Yeats, erlebte sie 1908 in New York und schrieb anschließend an seinen Sohn: »Ich habe sie in einem Restaurant getroffen, und mir war sofort klar, dass sie die außergewöhnlichste Person der Welt sein muss. Sie macht ihre eigenen Pläne, und es ist ihr völlig egal, was man von ihr denkt oder über sie sagt. Sie unternimmt keinerlei Anstrengungen, irgendjemandem zu gefallen. Die Leute sind in ihrer Meinung über sie äußerst gespalten, und die sich gegenüberstehenden Parteien hassen sich wie die Capulets und die Montagues.«
Isadora Duncan selbst führte viele ihrer Charaktereigenschaften auf die Natur des Nordwestens derUSA und spezifisch amerikanische Einflüsse zurück: »Ich war ein Produkt des amerikanischen Puritanismus (…) – Amerika hat mich in meiner Jugend tief geprägt; ich war eine Puritanerin und eine Mystikerin