: Marc Engelhardt
: Ich bin dann mal nackt Eine Reise zu den unverhüllten Kulturen unserer Welt
: Goldmann
: 9783641262280
: 1
: CHF 5.30
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: Gesellschaft
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Splitternackt ins Meer springen, nahtlos Sonne tanken und mit den Kleidern alle Zwänge des Alltags ablegen: Lange waren solche kleinen Freiheiten nicht mehr so wertvoll wie heute, und so beliebt. Nacktsein liegt im Trend. Das gilt für die Nude Cruise auf dem Kreuzfahrtschiff genauso wie für Nackt-Yoga-Sessions oder Wandern barfuß bis zum Hals in der Natur. Mit dem Abwerfen der Kleidung entkommen wireiner Welt, in der Körper zur Ware geworden sind. Und so beschließt der Journalist Marc Engelhardt, der neuen Faszination des Nacktseins nachzugehen. In bester Reportertradition begibt er sich auf eine Reise um die Welt - natürlich unbekleidet. So läuft er in Japan hüllenlos durch den Wintersturm, um mit hundert anderen das Glück zu suchen, geht bei 35° Grad im Schatten in der Stadt der Nackten am Cap d'Agde auf Schaufensterbummel und findet in Marokko heraus, warum Nacktheit in der arabischen Welt ebenso wichtig ist wie Verhüllung. Eine unterhaltsame und hochspannende Kulturgeschichte über die ganze Welt des Nacktseins.

Marc Engelhardt, Jahrgang 1971, ist Autor und freier Auslandskorrespondent. Seit gut zwei Jahrzehnten berichtet er für den Deutschlandfunk sowie ARD Hörfunk und Fernsehen, zunächst aus Nairobi und inzwischen aus Genf. Er ist Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter, war fünf Jahre lang dessen Vorsitzender und hat mehrere gemeinsame Bücher herausgegeben, die u.a. bei DVA und Pantheon erschienen sind.

Schaabe, Rügen


Nackt und frei am Ostseestrand


Vor mir die Brandung. Über mir der blaue Himmel. Rechts und links der strahlend weiße Sand. So muss das Paradies aussehen. Und was trägt man im Paradies? Nichts. Also runter mit den Klamotten und rein in die erfrischend kalte Ostsee! An der Schaabe, Rügens längstem Sandstrand, hat das Nacktbaden Tradition. Viele kommen in zweiter oder dritter Generation hierher und haben noch nie eine Badehose, einen Badeanzug besessen. Besonders beliebt wurde das Baden ohne, als die Staats- und Parteiführung der DDR es vorübergehend verbot. Als die SED merkte, dass das niemanden interessierte, im Gegenteil Nacktbaden zu einer subversiven Protestform mutierte – da machte sie das Beste draus und erklärte nacktes Baden kurzerhand zum DDR-Kulturgut. Das galt vorübergehend als bedroht, als nach der Wende die Wessis kamen und jede Menge Textil mitbrachten. Inzwischen aber tummeln sich die Nackten und die Liebhaber von Bademoden gemeinsam an der Schaabe, und es herrscht ein Burgfrieden im »Unterhosenkrieg«, wie die britische Presse den Kulturkampf an ostdeutschen Ostseestränden taufte. Wo also könnte ich besser meine erste nackte Reiseetappe entlang der Ostseeküste beginnen als an meinem Lieblingsort auf Rügen?

Im Sommer richten sich viele langjährige Badegäste an der Schaabe häuslich ein. Sie kommen früh an jedem Morgen, ziehen sich als Erstes aus und bauen dann am Fuß der Dünen, jeweils an der immer gleichen Stelle, ihren Windschutz auf. Dort verbringen sie den Tag, unterbrochen nur vom regelmäßigen Bad in der Ostsee und einem Rostocker Pils oder Rotkäppchen aus der Kühltasche mit Freunden. Immer mal wieder erhebt sich auch einer der Männer – es sind ausschließlich Männer – von seiner Strandmatte, schüttelt alle Körperteile aus und sucht stehend von seiner leicht erhöhten Position in den Dünen von links nach rechts den Strand ab. Seine Körperhaltung erinnert dabei an die eines Erdmännchens, das vor seinem Bau stehend nach Feinden Ausschau hält. Nach Feinden sucht der gemeine Strandmann sicher nicht, aber neue Strandgäste werden von ihm genauso registriert wie das Nahen eines der elektrobetriebenen Strandbuggys, die den Strand während der Saison mit Bockwurst, Eis und Kaffee versorgen. Die Fahrerinnen und Fahrer, die meisten von ihnen Studierende aus dem nahen Polen, blinzeln inzwischen nicht mal mehr, wenn sich vor ihrem Wagen eine lange Schlange von Badegästen bildet, die außer ihrem Portemonnaie nichts am Leib tragen. Dabei wäre Vergleichbares an der polnischen Ostsee undenkbar. »Natürlich gibt es auch bei uns in Polen FKK-Strände«, sagt mir Pavel, einer der Fahrer. »Aber so locker und sorglos wie hier, wo die Leute nackt den Strand entlanglaufen oder sich ein Eis kaufen, das haben wir nicht – da ist die katholische Kirche vor.«

Durch ihre Standorttreue ist es leicht, mit den Schaabeveteraninnen und -veteranen Bekanntschaft zu schließen. Es reicht, ausgezogen nach einem Gummihammer zu fragen, ohne den sich der eigene Windschutz unmöglich aufstellen lässt. Erfahrene Strandgäste haben immer einen dabei. Bald ist man im Gespräch und grüßt sich dann, wenn man sich wiedersieht. Birgit, die ich auf diese Weise kennenlerne, erzählt mir von ihrem Urlaub auf der Schaabe zu DDR-Zeiten. »Wir hatten auf dem Zeltplatz in Glowe endlich einen Platz ergattert und sind dann mit unserem Trabant von Halle aus angereist – der Bastei-Wohnwagen, den wir zugewiesen bekamen, stand ein Stück zurückgesetzt, sodass wir morgens dann erst mal über den halben Acker und die Hauptverkehrsstraße mussten, bevor wir endlich am Meer waren.« Trotzdem habe sie sich schon am ersten Tag in die Schaabe verliebt und sei immer weiter die kilometerlange Nehrung entlanggelaufen, um die schönste Stelle zu finden. »Da musste man früh unterwegs sein, weil es irgendwann voll wurde&nb