I/1
An diesem Freitag im Juli dachte sie: Wenn der jetzt noch kommt, bin ich fort.
An diesem Freitag im Juli arbeitete er an zwei Zeilen den ganzen Tag. Das Brot ist saurer verdient, als einer sich vorstellen kann, dachte er.
Sie dachte: Dann soll er zusehen.
Er dachte: Und heut wird’s nicht mehr besser.
Sie: Vielleicht ist die Schallplatte schon da.
Er: Bei den Ungarn soll es den Lukács geben.
Sie nahm Handtasche und Jacke und ging hinaus auf die Straße.
Er griff sein Jackett und die Zigaretten.
Sie überquerte die Brücke.
Er ging die Friedrichstraße hinauf.
Und sie, weil der Bus noch nicht in Sicht war, auf einen Sprung nur ins Antiquariat.
Er passierte die Französische Straße.
Sie kaufte ein Buch. Und der Preis für das Buch war 12 Mark.
Und als der Bus hielt, stieg er ein.
Das Geld hatte sie passend.
Und als der Bus eben die Türen schloss, kam sie aus dem Laden.
Und als sie den Bus noch warten sah, begann sie zu laufen.
Und der Busfahrer öffnete für sie, ausnahmsweise, noch einmal die hintere Tür.
Und sie stieg ein.
Auf Höhe des Operncafés verfinsterte sich der Himmel, beim Kronprinzenpalais brach das Gewitter los, ein Regenschauer wehte die Passagiere an, als der Bus am Marx-Engels-Platz hielt und die Türen auftat. Etliche Menschen drängten herein, um sich ins Trockne zu retten. Und so wurde sie, die zunächst dem Eingang stand, zur Mitte geschoben.
Die Türen schlossen sich wieder, der Bus fuhr an, sie suchte nach einem Haltegriff.
Und da sah sie ihn.
Und er sah sie.
Draußen ging eine wahre Sintflut hernieder, drinnen dampfte es von den feuchten Kleidern der Zugestiegenen.
Nun hielt der Bus am Alex. Die Haltestelle aber war unter der S-Bahn-Brücke.
Nach dem Aussteigen blieb sie unter der Brücke stehen, um auf das Ende des Regens zu warten.
Und auch alle anderen, die ausgestiegen waren, blieben unter der Brücke stehen, um auf das Ende des Regens zu warten.
Und auch er war ausgestiegen und blieb stehen.
Und da sah sie ihn ein zweites Mal an.
Und er sah sie an.
Und weil sich durch den Regen die Luft abgekühlt hatte, zog sie nun ihre Jacke über.
Sie sah ihn lächeln, und lächelte auch.
Aber dann verstand sie, dass sie ihre Jacke über den Riemen ihrer Handtasche gezogen hatte. Da schämte sie sich vor seinem Lächeln. Sie ordnete alles richtig an und wartete weiter.
Dann hörte der Regen auf.
Bevor sie unter der Brücke hervortrat und losging, sah sie ihn ein drittes Mal an.
Er erwiderte ihren Blick und setzte sich in die gleiche Richtung wie sie in Bewegung.
Nach wenigen Schritten blieb sie mit ihrem Absatz im Pflaster stecken, da verlangsamte auch er seinen Schritt. Es gelang ihr, den Schuh schnell herauszuziehen und weiterzugehen. Und er nahm das Tempo, in dem sie ging, sogleich wieder auf.
Nun lächelten beide im Gehen, den Blick zu Boden gerichtet.
So gingen sie – treppab, durch den langen Tunnel, dann wieder aufwärts, auf die andere Seite der Straße.
Das Ungarische Kulturzentrum schloss um 18 Uhr, und es war fünf Minuten über die Zeit.
Sie wendete sich zu ihm und sagte: Es ist schon geschlossen.
Und er antwortete ihr: Trinken wir einen Kaffee?
Und sie sagte: Ja.
Das war alles. Alles war so gekommen, wie es hatte kommen müssen.
An diesem 11. Juli im Jahr 86.
Wie wurde er das junge Ding nun wieder los? Was, wenn ihn jemand hier mit dem Mädchen sah? Wie alt mochte sie sein? Ich trink den Kaffee schwarz, denkt sie, und ohne Zucker, dann nimmt er mich ernst. Konversation machen und dann schnell wieder weg, denkt er. Wie heißt sie? Katharina. Und er? Hans.
Zehn Sätze später weiß er, dass er sie schon einmal gesehen hat. Bei einer Maidemonstration vor vielen Jahren war sie das schreiende Kind an der Hand ihrer Mutter gewesen. Erika Ambach, die Mutter. Sie erzählt etwas von »Zopf abgeschnitten« und nippt an ihrem schwarzen Kaffee. Ihre Mutter hatte damals als Doktorandin in demselben Akademiegebäude gearbeitet, in dem auch das erste Forschungslabor seiner Frau untergebracht war. Sie si