Kapitel 1
Giselle
Hörst du das?
Das Surren, dieses unermüdliche Schwirren? Wie abertausende Flügel, die die Luft zum Beben bringen. Von Blüte zu Blüte huschend in eifriger Zielstrebigkeit. Als würden sie tatsächlich hier herumfliegen, die Bienen. Dabei ist es nur mein Herz, das so heftig schlägt, keine durchsichtigen doppelten Flügelpaare.
Spürst du es auch? Mir ist, als pulsierten die Härchen auf meinen Unterarmen im Takt mit, wenn ich an diesen Tag und an all die Dominosteine zurückdenke, die er zum Umfallen gebracht hat. Einen nach dem anderen.
Du-dum. Du-dum. Du-dum.
Sss-umm.
***
»Hörst du? Alles wird gut!«, beteuerte ich und streichelte sie flüchtig. »Das Feuer kann dir nichts mehr anhaben.«
Das Kissen unter meinen Knien saugte sich allmählich mit der verbliebenen Feuchtigkeit der Wiese voll. Ich fühlte ihre angenehme Kälte durch den abgewetzten Stoff, der zuletzt vor dem Ausbruch der Waldpocken weich und angenehm gewesen war. Behutsam rückte ich der klammen Erde mit einem aufgeschraubten Einmachglas zu Leibe und schaufelte sie damit zur Seite.
»Du vermisst sie bestimmt noch mehr als ich, aber dein neues Zuhause wird dir sicher gefallen«, versprach ich und hob vorsichtig ihre Füße an. Sie waren über und über mit satter schwarzer Erde bedeckt. Die gröbsten Klumpen klopfte ich flüchtig ab.
»Ich bitte Till dich bei sich in seiner Wohnung aufzunehmen, was sagst du dazu?« Nichts natürlich. Immerhin redete ich mit einer Teerose. Trotzdem besser, als Selbstgespräche zu führen. »Vom Dachfenster im Bad aus sieht man bis zum Waldrand und wenn man mutig genug ist sich aus dem Küchenfenster zu lehnen, kann man die Spitzen der Hochhäuser sehen. Till ist ein, ähm … ganz besonderes Exemplar. Aber ich sorge dafür, dass er sich gut um dich kümmert.«
Ihr Köpfchen neigte sich leicht zur Seite.
»Wenn es dir trotzdem nicht gefällt, ziehst du runter zu Babette und mir.«
Vorsichtig setzte ich sie in den Blumentopf neben mir. Erneut stach ich in den Boden, diesmal mit dem Schraubdeckel des Glases, um die Erde zu lockern. Dann wechselte ich das Werkzeug und Einmachglas für Einmachglas schaufelte ich dem Rosenstock ein Bett aus Erde in den Topf. Der Wind wirbelte graue Flocken zu mir herüber. Sie erinnerten mich an Schnee oder den Staub der hinterlistigen Feen, von denen man Kindern erzählte, dass sie im Wald, jenseits der alles überragenden Spiegelmauer ihr Unwesen trieben. Man konnte sich schließlich viele Schauergeschichten ausdenken über ein unheilvolles Gebiet, das zu unserem eigenen Schutz keine Menschenseele mehr betreten durfte. Denn die Mauer sperrte niemanden aus, sondern den Wald ein.
In Wirklichkeit waren die verwehten grauen Flocken, die nun in kleinen Wirbeln um mich herumwehten, weder Schnee noch Feenstaub, sondern Asche. Überreste von toten Pflanzen und der Bienenkästen, die in der Nähe gestanden hatten. Mein Herz wurde bleischwer, wenn ich daran dachte, wie unsere jungen Bienenvölker vorgestern erstickt oder verbrannt waren. Dass die von den Löscharbeiten noch feuchte Asche den Wurzeln meiner Teerose Nährstoffe spenden würde, milderte die Tragik kaum. Immerhin war die Feuerwehr schnell genug eingetroffen, um sie und den Rest der Plantage vor den Flammen zu retten.
Wäre ich an dem Tag doch nur eine Stunde länger geblieben! Ich hätte den Brand mit meiner Jacke im Keim ersticken können oder ich hätte … Unsinn! Egal wie viele Szenarien ich in meinem Kopf durchspielte, das Gras war ohne den lang ersehnten Sommerregen staubtrocken gewesen. Vom nahe gelegenen Brandherd hatte sich das Feuer rasant bis zu den Bienenstöcken am Plantagenrand ausgebreitet. Es musste unglaublich schnell gegangen sein.
Mit mir oder ohne mich. Die Bienen hatten keine Chance gegen die Flammen gehabt. Ganz gleich, wie wertvoll oder beladen mit Hoffnung sie für mich waren.
Ich seufzte schwer. Einerseits, weil es mich anstren