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»Was ich jetzt sage, hört sich möglicherweise banal an, aber das Allerwichtigste, was Sie als Angehörige oder Hinterbliebene tun können, ist, ganz genau nachzuspüren, wie Sie sich in diesem Moment fühlen. Wut und Trauer sind vollkommen legitime Reaktionen, wenn man erlebt hat, was Sie erlebt haben. Und genauso legitim ist es, sich zwischendurch zurückzuziehen und eine Weile nur an sich zu denken.«
Blix ließ den Blick über die Versammlung schweifen. Die Veranstalter hatten etwa sechzig Teilnehmer angekündigt, im Saal waren aber kaum mehr als vierzig Personen. Vierzig Schicksale. Jeder Einzelne, der ihm zuhörte, hatte eine Krise durchlebt, durch einen Unfall oder infolge einer strafbaren Handlung einen nahestehenden Menschen verloren.
Emma Ramm war eine von ihnen.
Sie saß in der ersten Reihe mit dem Journalistenblock auf dem Schoß und folgte aufmerksam dem Vortrag, wie schon der gesamten Veranstaltung. Nicht um sich seine Gemeinplätze anzuhören. Wenn jemand hatte lernen müssen, mit dem Verlust eines nahen Menschen klarzukommen, dann sie. Blix hatte ihr trotzdem eine Einladung geschickt, da sie gerade ein Fachbuch zu dem Thema schrieb. Vielleicht konnte die Veranstaltung ihr ja interessante Anstöße für das Projekt geben.
Das Handy in seiner Tasche vibrierte zum siebten oder achten Mal. Es schien wichtig zu sein. Er überlegte kurz nachzuschauen, entschied sich dann aber dagegen.
»Andererseits ist es natürlich verlockend, seine Gefühle wegzusperren«, fuhr er fort. »Aber Gefühle sind Fakten. Ihre Gefühle sind nicht falsch, nichts, was man unterdrücken und verstecken muss. Ebenso verlockend ist es aber, den empfundenen Gefühlen Nahrung zu geben. Durch Hass beispielsweise. Auch Hass ist legitim. Hass zu empfinden, das Bedürfnis oder den Wunsch zu haben, sich zu rächen, ist ganz natürlich.«
Das Handy verstummte. Er schaute auf die Stichwortliste vor sich, übersprang eine persönliche Anekdote und machte weiter.
»Der große Unterschied«, fuhr er fort, »ist aber, wie Sie mit diesen Gefühlen umgehen. Wenn Sie tatsächlich Rache üben, handelt es sich nicht mehr nur um Gefühle. Dann handeln Sie auf der Grundlage dieser Gefühle und verstoßen gegen das Gesetz. Und dann …«, er deutete ein Lächeln an, »… kommen solche wie ich, um Sie daran zu hindern.«
Vereinzelte verhaltene Lacher im Saal.
»Hoffentlich, bevor es zum Äußersten kommt«, fügte er mit einem Lächeln hinzu.
Er wurde wieder ernst.
»Trauer hat viele Facetten. Und jeder Mensch trauert anders. Viele fühlen sich alleingelassen, wenn das Interesse der Medien nachlässt. Dann kommt die Leere, vielleicht auch die Verbitterung, weil Sie das Gefühl haben, dass sich niemand mehr für Ihr Schicksal interessiert. Weil die Leute nicht nachvollziehen können, wie verflucht schmerzhaft und schwer zu verkraften es für Sie ist und bleibt.«
Blix sprach dasverfluchtmit besond