Die Elefantenfamilie
Benjamin war ein Elefantenbaby von etwa zwei Jahren, das von seiner Mutter Berta noch immer gesäugt wurde. Sie nannte ihren Sohn Ben und schenkte ihm viel Liebe und Zärtlichkeit.
Eigentlich, dachte Berta,ist Ben inzwischen groß genug, um feste Nahrung zu fressen,aber dem Kleinen gefällt es, gesäugt zu werden und meine nahrhafte Milch zu trinken. Und wächst er nicht täglich mehr und mehr?Der Mutter war bewusst, dass es an der Zeit war, ihr Söhnchen zu entwöhnen, sie tat sich jedoch schwer damit. Möglicherweise hatte dieser Umstand mit Bertas Verhältnis zu ihren Tanten Tina und Ella zu tun? Die beiden waren in der Frage der Ernährung und in manchen Erziehungsfragen anderer Auffassung als die junge Mutter, wodurch es einige Male zum Streit gekommen war. Was das Fressen anging, hatten sie Berta geraten, Ben endlich mal was ›Ordentliches‹ zu futtern zu geben, denn allein von der Muttermilch würde der Kleine nicht mehr satt! Umso mehr freute sich Berta darüber, dass aus ihrem Baby bereits jetzt ein ansehnlicher Bursche geworden war, und eines Tages wäre er, trotz seiner kleinen Gehbehinderung, ein prächtiger Bulle. Berta war ungeheuer stolz auf ihr Junges, wenngleich Bens körperliche Beeinträchtigung immer auch einen Wermutstropfen für sie darstellte. Doch solche Bitterkeit empfand sie nur für sich allein. Vor der Elefantenfamilie prahlte sie gerne darüber, wie stolz sie auf den Kleinen war.
»Schon bei der Geburt«, protzte sie dann vor ihrer Verwandtschaft,»war Ben ein ungewöhnlich kräftiges Kerlchen, und sieht er nicht von Tag zu Tag seinem Vater ähnlicher?«
Dass Ben seit seiner Geburt ein wenig das rechte Hinterbein nachzog,ansonsten jedoch ein putzmunterer, kerngesunder kleiner Elefant war, stellte für die Mutter ein Problem dar. Bens Gehbehinderung war nicht schwerwiegend. Weitaus zutreffender hätte man sie als einen ›Schönheitsfehler‹ der Natur bezeichnen können. Trotzdem wehrte sich Berta dagegen und wollte davon nichts wissen. Vor den anderen Mitgliedern ihrer Familie, die allesamt von tadellosem Wuchs und mit keinem Makel behaftet waren, schämte sie sich regelrecht.
Ich verstehe nicht, dass mir das passieren musste. Womit habe ich das verdient?,fragte sie sich manchmal, als wollte sie die Götter dafürverantwortlich machen. Natürlich ließ sich Bens Handicap nicht vertuschen oder vor anderen verbergen. Jeder sah und wusste davon, aber dieses kleine Defizit war für die anderen Familienmitglieder nie ein Thema, im Gegenteil! Ben war sogar sehr beliebt. Die anderen Kühe nannten ihn ihren ›Sonnenschein‹, dem alle Tiere der Herde ihre besondere Zuneigung schenkten. Allein die Mutter kam damit nicht zurecht und verlor auch nie ein Wort darüber, als existierte diese Einschränkung nicht. Möglicherweise sprach sie gerade deswegen so häufig und gerne über den vor Kraft strotzenden, gewaltigen Baba, Bens Vater. Baba weilte zwar nicht bei der Herde, war für Berta jedoch ein strahlender Held.
Ben hörte seiner Mutter gern zu, wenn sie über seinen Vater sprach. Fast jeden Abend erzählte sie ihm vor dem Einschlafen eine Geschichte über ihn. Der kleine Elefant war dann ganz Ohr. So verspielt er ansonsten auch war, wenn Berta mit ihm über die Erlebnisse Babas sprach – die bisweilen auch ihrer eigenen Fantasie