: Franca Parianen
: Teilen und Haben Warum wir zusammenhalten müssen, aber nicht wollen
: Duden
: 9783411913466
: Duden - Sachbuch
: 1
: CHF 8.90
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: Gesellschaft
: German
: 144
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Teilen heißt überleben, zumindest aus Sicht der menschlichen Evolution. In unserer stürmischen Entwicklung hat sich die Verteilung von Arbeit, Wissen und Risiken als unsere größte Stärke und zugleich einzige Chance herausgestellt. Bis heute prägt sie Gehirn und Gesellschaft - vom solidarischen Sozialstaat über die Lust, Informationen zu tauschen (oder Katzenfotos), bis zur komplexen Arbeitsteilung in jedem Lebensbereich (vor allem WG-Küchen). Was aber, wenn Teilen nicht mehr als Grundbedingung gilt, sondern nur noch als Verlustgeschäft? Wenn Besitz das Gleichgewicht aus Kosten, Nutzen und Risiken kippt? Und wenn dabei alles, was wir einst geteilt haben - ob Bildung, Nahrung oder Care-Arbeit - als Erstes unter den Tisch fällt? Weltweit wehren sich immer mehr Menschen gegen Ungleichheit und Ausbeutung. In der Krise und an den Grenzen unserer Ressourcen wird Verteilungsgerechtigkeit wieder zur Überlebensfrage. Franca Parianen zeigt: Wenn wir eine Zukunft haben wollen, müssen wir die verlorene Kunst des Teilens schleunigst wiederentdecken.

Dr. Franca Parianen, geboren 1989, ist Kognitions- und Neurowissenschaftlerin, Science-Slammerin und Buchautorin. Nach ihrem Bestseller 'Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage'(2017) erschien von ihr zuletzt 'Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt' (2020). Franca Parianen lebt in Berlin.

Es war einmal eine Spezies, die ziemlich allein auf der Welt war. Erst waren sie die letzten Zweibeiner, dann die letzten Menschen. Vor allem waren sie mit der Gesamtsituation unzufrieden. Das ist ziemlich bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass sie fast alles auf ihrem Planeten selbst gestaltet hatten. Sie hatten das Licht entfacht, den Boden bewirtschaftet, Sandbänke aufgeschüttet und dekorative Straßenlaternen aufgestellt. Sie saßen im Winter im Warmen, im Sommer am Meer, und ihre Fressfeinde saßen im Zoo. Aber egal, wo sie saßen, sie waren ziemlich oft unglücklich. Selbst diejenigen unter ihnen, die Medizin und Nahrung hatten und außer Montagen gar kein Problem.

Nachdem sie lange Zeit dem Wetter die Schuld gegeben und sich sehr ausdrücklich darüber beklagt hatten, kamen die Vertreter dieser Spezies irgendwann zum einzig logischen Schluss: Die Hölle, sagten sie sich, das sind die anderen. Immerhin ergab sich fast alles an Sorgen und Ärger ja aus dem, was die Menschen um sie herum sagten, dachten und machten. Aus ihrer Unhöflichkeit, Raffgier und Gewalt oder, noch schlimmer, aus ihrem Humor.

Spätestens als die anderen nicht nur die Hölle waren, sondern auch noch ansteckend, fiel den Menschen auf, dass sie alle ziemlich dicht beisammenstanden. Viele fragten sich, ob man die ganze Idee von Gesellschaft nicht grundsätzlich überdenken sollte. Andere fanden, man sei mindestens seit dem Anbau von Kohlehydraten auf dem Holzweg. Selbst eingefleischte Großstädter träumten plötzlich vom Land (oder zumindest einem Schrebergarten). Alles in allem wirkten einsame Orte plötzlich sehr attraktiv: Tundren, Vulkaninseln, abgeschiedene Täler, hohe Berge oder Brandenburg (jedenfalls dort, wo man keine Brandenburger traf). Hauptsache, ein Stückchen Welt ganz für uns allein. Mit einem kleinen Zaun, der die Deppen fernhält – wenigstens die ohne Maske. Wär’ das nicht schön?

Dann also Schluss mit Optimismus. Aus, vorbei, Klappe zu, Affe tot, wir haben es versucht. Wie soll man auch ein Buch über die erstaunliche Sozialkompetenz des Menschen schreiben, wenn sich vor dem Fenster die Konflikte so atemlos aneinanderreihen, dass man bei jeder Pinkelpause Angst hat, einen wichtigen Teil der Handlung zu verpassen? (Scherz, es nehmen ja eh alle ihre Handys mit aufs Klo.) Ständig laufen die Twitter-Trends heiß, weil wieder irgendwas passiert (oder mindestens Dieter Nuhr). Und ziemlich häufig ist das, was uns daran stresst, nicht mal so sehr dieser tägliche Katastrophenticker, sondern die permanente Koordination mit den anderen, die nötig ist, um damit umzugehen. Die Regeln, die wir neu erfinden müssen – für Politik, Einkauf, Schulen und U-Bahn-Vierer. Zusammenleben heißt teilen, sich arrangieren, Kompromisse finden. Das ist nicht immer schön, und darum ziehen die meisten von uns irgendwann aus WGs aus. Allerdings müssen wir uns dann immer noch den Planeten teilen, und das jüngste Weltgeschehen hat uns gezeigt, dass wir das ja mal so überhaupt nicht hinkriegen.

Dabei waren wir gerade ein bisschen warm geworden mit der Menschheit. Nachdem die Sozialpsychologie erst mal die langen Schatten der 1930er- und 1940er-Jahre aufarbeiten musste, mit wilden Experimenten zu Gehorsam und Gruppenzwang, und andere Wissenschaften sich sicherheitshalber aufs neutrale Terrain des ich-bezogenenHomo oeconomicus zurückzogen, hatten Psychologie und Hirnforschung für eine kleine Revolution gesorgt. Die Entdeckung der Spiegelneuronen im Jahr 1996 löste eine ganze Welle bahnbrechender Erkenntnisse aus, über die erstaunlich soziale Neigung der Spezies Mensch: In unserem Kopf simulierten wir nicht nur die Bewegungen anderer Menschen, sondern auch deren Gefühle und Gedanken. Alles in allem betrachtet, müssten wi