: Lotte Kinskofer
: Zum Sterben zu viel Kriminalroman
: ars vivendi
: 9783747202340
: 1
: CHF 8.90
:
: Historische Kriminalromane
: German
: 350
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
München-Pasi g, 1922: Ein Heimatdichter wird ermordet, und ein junger Schreiner muss dafür ins Gefängnis, obwohl die Verdachtsmomente alles andere als schlüssig sind. Seine Frau Agnes tut alles, um die Unschuld ihres Mannes zu beweisen. Vorübergehend muss sie sogar ihre beiden Kinder in die Obhut Fremder geben. Ein zweiter Mord geschieht; der Ermordete hat die gleiche seltsame Wunde am Kopf wie das erste Opfer. Oberkommissar Benedikt Wurzer steht vor einem Rätsel, bis ihn ein Hinweis in die Oberpfalz führt und er ahnt, dass ein weiterer Mord unmittelbar bevorsteht ... Ein spannender und berührender Kriminalroman aus der Zeit zwischen den Kriegen, als die politischen Kämpfe zwischen Rechts und Links schärfer wurden und das Geld nichts mehr wert war, als die Menschen vom Land in der Stadt ihre Zukunft suchten und doch von ihrem Schicksal eingeholt wurden.

Lotte Kinskofer, geboren in Langquaid/Niederbayern, lebt und arbeitet heute als Journalistin und Autorin in München. Sie schreibt Kinder- und Jugendbücher, Kriminalromane sowie Drehbücher für Fernsehserien.

 

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Carus von Waldfels schwang gut gelaunt seinen Spazierstock. Es war ein Tag genau nach seinem Geschmack gewesen. Er war spät aufgestanden, hatte ausgiebig gefrühstückt, dann zwei Stunden an seinem neuesten Werk geschrieben. Er hätte den Tag bei einem Cognac ausklingen lassen und aus dem Fenster seines hell erleuchteten Hauses in der Apfelallee hinüber zum Nachbarn schauen können, aber er zügelte seine vorhandene Neugier, ob sich der Herr Anwalt immer noch in seinem Arbeitszimmer aufhielt oder bereits in den Salon zur Frau Gemahlin gegangen war. Er hatte nämlich noch etwas vor, genau genommen zwei Termine, der eine eher Pflicht und der andere hoffentlich die Kür.

 

Gekleidet hatte er sich passend zum ersten Termin, dem Treffen mit bayerisch-national gesinnten Abgeordneten. Nicht zu elegant, da er keinen Neid schüren wollte: den eher konservativ-gediegenen Anzug, dazu einen Mantel aus einem kräftigen Stoff und einen volkstümlich anmutenden Hut. Vielleicht war es etwas unpassend für seinen anschließenden Termin, aber wer zugleich braver Bürger und Bohemien sein wollte, der konnte nur einem der beiden Ansprüche wirklich genügen. Außerdem mochte er sich mit dem Publikum dieses sogenannten Atelierfestes in Schwabing nicht zu sehr gemeinmachen. Sollten die anderen Gäste ruhig merken, dass er das Amüsement schätzte, aber normalerweise in besseren Kreisen verkehrte.

Von Waldfels fröstelte etwas, denn es war eher kühl für Mitte April. Aber er hatte beschlossen, zu Fuß zum Bahnhof zu gehen, um noch etwas frische Luft zu schnappen. So bog er, zufrieden pfeifend, von der Apfelallee in die Langwieder Straße ein und dachte über sein Tagwerk nach.

 

Heimatverse sollten es werden. Gedichte, wie die Leute sie mochten, gerade in dieser herzlosen, unübersichtlichen Zeit, wo der Krieg vielen noch in den Knochen steckte, manchen sogar im wahrsten Sinn des Wortes, auch wenn er schon vier Jahre vorbei war. Gedichte, die Wärme gaben, das Gefühl von Geborgenheit in einer Welt, in der Geld immer weiter an Wert verlor und fremde Nationen über Deutschland und Bayern bestimmten. Der Verleger hatte ihn um Heimatverse gebeten. »Nix Politisches«, hatte er gesagt. »Vor allem nix Linkes. Die Wörter ›Arbeiter‹, ›Lohn‹, ›Hunger‹ und ›Krieg‹ will ich nicht lesen.«

Er hatte sich eine Liste gemacht mit Begriffen, die passend waren: Heimat, Erde, Himmel, Mädl, Bursch, Vaterhaus, Muttersprache, Edelweiß, Tanne. So was eben. Und dann hatte er angefangen zu dichten.

Besonders stolz war er auf den Vers: »An der Wand hängt dem Vater sei Gwand …«

Ja, das würde zur melancholischen Stimmung der armen, einfachen Leute passen. Und davon gab es schließlich genug. Nicht nur draußen auf dem Land, auch in München und hier, in Pasing, vor den Toren der großen Stadt.

Bewusst hatte er sich auf der Suche nach einem Haus für die kleine, aufstrebende Stadt entschieden. Das Haus in Neu-Pasing in der von August Exter geplanten zweiten Villenkolonie hatte er kurz nach der Fertigstellung vor gut zwanzig Jahren erworben. Und obwohl er ein Zugezogener war, wurde er als Heimatschriftsteller in Pasing geschätzt, respektiert und höflich gegrüßt. Die Menschen kannten einander