Als Teenager glaubte ich, den Tiefpunkt meines Lebens bereits erreicht zu haben. Die Pubertät hinterließ Spuren: Mein Hintern wuchs in die Breite, mein Haar wurde widerspenstig und seine blonde Farbe wich einem Aschblond, das ich nicht ausstehen konnte. Zu allem Überfluss bekam ich an meinem fünfzehnten Geburtstag eine feste Zahnspange, die mich noch mehr entstellte.
Ich war zwar die Beste in der Klasse, aber das brachte mir nur den Ruf der Streberin ein. Zu den beliebten Mädchen blickte ich auf, als seien sie Göttinnen. Judith Bronner war so eine Göttin. Ihr langes, glänzendes Haar fiel über die Stuhllehne in der ersten Reihe, während ich mich in der hintersten versteckte. Sie trug schon mit dreizehn erdbeerfarbenen Lipgloss und die Mädchen scharten sich in den Pausen um sie, während die Jungs sie aus der Ferne sehnsüchtig beäugten. Sie sah aus wie ein Topmodel und sprach über Dinge, die jeden interessierten. Von meinen Büchern und meinem Meerschweinchen, das sonderbar knurrte, wenn ich ihm den Bauch kraulte, wollte keiner etwas wissen.
In den nächsten zehn Jahren musste ich mich allerdings damit abfinden, dass der Tiefpunkt meiner Pubertät zu einer Tiefgeraden wurde, die sich immer weiter in die Länge zog. Das Übel wurde mir schon mit meinem Namen in die Wiege gelegt. So statuierte ich in meiner Gymnasialzeit folgendes Grundrecht: Jeder sollte einen Namen haben, den sie oder er mögen kann. Man wird unweigerlich mit ihm verbunden, wird mit ihm gerufen, schreibt ihn auf das Deckblatt jeder Klassenarbeit und unterschreibt mit ihm. Jeder Mensch muss mit seinem Namen zufrieden sein, Punkt!
Wenn ich mich bei meiner Mutter beschwerte, sagte sie lediglich, es sei doch „nur ein Name“. Sie alsMara hatte leicht reden. Ohne mit der Wimper zu zucken hätte ich mit ihr getauscht, zur Not auch mit einer Ursula oder Uta, auch wenn ich Namen mit U schon immer doof fand. Die Geschichte, wie mein Vorname ausgesucht wurde, machte die Sache nicht besser. Hätte meine Mutter ein Idol mit dem Vornamen Gundi gehabt, hätte ich ihre Wahl womöglich nachvollziehen können. Alles, was einen ideellen Hintergrund hatte, berührte mein Herz. Doch schuld an meinem Vornamen waren nur ein Zufall und das Vornamenbuch aus der Bücherei, welches von Mamas kugelrundem Bauch rutschte. Als sie es am nächsten Morgen aufhob, fand sie es bei den Mädchennamen mit G aufgeschlagen. Ihr Blick fiel auf Gundi, denn neben dem G befand sich ein kleiner brauner Fleck, und sie beschloss kurzerhand, mich Gundi zu nennen.
Wenn meine Mutter meinen Erzeuger geheiratet und seinen Namen angenommen hätte, hätte mein verunglückter Vorname eventuell durch den angenehm klingenden Nachnamen Lenz ein wenig an Bedeutung verloren. Gundi Lenz klang nach einer Künstlerin, vielleicht einer Literaturkoryphäe, die ich liebend gern gewesen wäre. Doch nein! Als ich bei Wikipedia nachsah, was ich tat, sobald ich lesen konnte, fand ich schnell heraus, dass mein Nachname mit nichts Schönem assoziiert werden konnte. Er steht für eine Lampe, die nur spärliches Licht spendet. Als Adjektiv verwendet bedeutet erklein und daher schlecht zu benutzen,leicht zerbrechlich oder umständlich in der Handhabung. Manchmal denke ich, dass die Bedeutung meines Nachnamens ironischerweise meinen Charakter recht gut beschreibt.
Dass wir in Stuttgart wohnten, machte alles noch einen Deut schlimmer. Im Schwäbischen steht mein Nachname für einealte hässliche Frau. Die ich eines Tages bestimmt sein würde, aber noch war es nicht so weit! Mit meinen fünfundzwanzig Jahren wäre ich gern eine junge, selbstbewusste Frau gewesen, die eine große Zukunft vor sich hat. Warum ich immer nach den Sternen greifen müsse, wollte meine Mutter oft wissen. Vielleicht, weil sie es nie getan hatte. Aber das sagte ich ihr natürlich nicht.
Genug um den heißen Brei herumgeredet. Darf ich mich vorstellen, mein Name ist Gundi Funzel. Ja, ihr habt richtig gelesen, so lautet mein verfluchter Name und es tut mir weh, ihn so auf dem Papier lesen zu müssen. Doch was hilft es, man muss zu den Tatsachen stehen. Bis zu einem gewissen Grad machte ich meinen Namen auch dafür verantwortlich, dass ich an meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag noch Jungfrau war …