: David Peace
: Tokio, neue Stadt Roman
: Verlagsbuchhandlung Liebeskind
: 9783954381333
: 1
: CHF 8.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 432
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Tokio, 5. Juli 1949. Sadanori Shimoyama, Präsident der Nationalen Japanischen Eisenbahngesellschaft, verschwindet spurlos - einen Tag nachdem er die Entlassung von 30.000 Angestellten verkünden musste. Die amerikanischen Besatzer führen in dem kriegsversehrten, gedemütigten Land umfassende Reformen durch, ohne Rücksicht auf Verluste. Auf den Straßen herrschen Gewalt und Chaos, die Kommunisten gewinnen an Einfluss, was die Amerikaner mit allen Mitteln verhindern wollen. Detective Harry Sweeney aus der Abteilung für öffentliche Sicherheit leitet die Vermisstensuche, auf direkten Befehl von General MacArthurs Hauptquartier. Doch dann wird der verstümmelte Leichnam Shimoyamas gefunden. Der Präsident der Nationalen Eisenbahngesellschaft wurde von einem Zug überrollt. Hat er Selbstmord begangen, aus Verzweiflung darüber, Abertausende Menschen ins Elend zu stürzen? Oder waren die Kommunisten für seinen Tod verantwortlich? Der Krieg ist vorbei, aber die dunklen Schatten der Vergangenheit werden immer länger ...

David Peace wurde 1967 in Yorkshire geboren. Für sein Werk wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem James Tait Black Memorial Prize, dem Grand Prix du Roman Noir und zwei Mal mit dem Deutschen Krimi Preis. Er wurde als einziger Krimischriftsteller in die renommierte 'Granta's List of Best Young British Novelists' aufgenommen. David Peace lebt mit seiner Familie in Tokio.

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DER ERSTE TAG


5. Juli 1949

Die Besatzungsmacht hatte einen Kater, und doch ging sie zur Arbeit: mit grauem Bartschatten und klammen Schweißflecken, auf Hacken und Sohlen die Flure hinauf und hinunter, Toiletten spülten, Wasser lief, Türen gingen auf und zu, Schränke und Schubladen, Fenster waren weit geöffnet, Ventilatoren kreisten, Füllfederhalter kratzten, Schreibmaschinen klapperten, Telefone klingelten, und eine Stimme rief: Für dich, Harry.

Im vierten Stock des NYK-Gebäudes, in dem riesigen Büro von Zimmer 432 der PSD, drehte sich Harry Sweeney an der Tür um, kehrte an seinen Schreibtisch zurück, nickte Bill Betz dankend zu, nahm ihm den Hörer ab, führte ihn ans Ohr und sagte: Hallo.

Polizeiermittler Sweeney?

Ja, am Apparat.

Zu spät, flüsterte die Stimme eines Japaners, dann war sie verschwunden, die Leitung tot, die Verbindung unterbrochen.

Harry Sweeney legte auf, nahm einen Stift vom Schreibtisch, schaute auf seine Uhr und schrieb Uhrzeit und Datum auf einen Block gelbes Papier: 9.45 Uhr, 5. Juli. Er nahm den Hörer ab und sprach mit der Telefonzentrale: Ich wurde gerade unterbrochen. Können Sie mir die Nummer geben?

Einen Augenblick, bitte.

Danke.

Hallo. Ich habe die Nummer für Sie, Sir. Soll ich Sie verbinden?

Bitte.

Es klingelt, Sir.

Danke, sagte Harry Sweeney, lauschte dem Klingeln, dann …

Coffee Shop Hong Kong, sagte die Stimme einer Japanerin. Hallo? Hallo?

Harry Sweeney legte wieder auf. Dann nahm er den Stift und schrieb den Namen des Coffee Shops auf, dazu Uhrzeit und Datum. Er ging zu Betz’ Schreibtisch: He, Bill. Der Anrufer gerade eben? Was hat er gesagt?

Er hat nach dir gefragt. Warum?

Mit Namen?

Ja, warum?

Ach, nichts. Er hat aufgelegt, das ist alles.

Vielleicht habe ich ihn verschreckt? Sorry.

Nein. Danke, dass du drangegangen bist.

Hast du dir die Nummer geben lassen?

Ein Café namens Hong Kong. Kennst du das?

Nein, aber Toda vielleicht. Frag ihn.

Er ist noch nicht da. Keine Ahnung, wo er steckt.

Du machst Witze, lachte Bill Betz. Jetzt sag mir nicht, der kleine Mistkerl ist verschwunden und hat sich einen Kater angetrunk