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Vom Hotel London zum Znamenski-Gymnasium
Ein Himmel von geradezu morgenländischer Klarheit, ein schöner heller, leuchtender Himmel lag blau wie persischer Türkis über den Häusern und Gärten der Stadt, die noch schlief. In der Stille des Morgengrauens war nur das Pfeifen der Spatzen zu vernehmen, die in wilder Jagd über die Dächer und über die Zweige der Akazien hinwegflogen, das lustvolle Gurren einer Turteltaube hoch in einem Baumwipfel, und in der Ferne das gelegentliche Rumpeln der Achsen eines Bauernkarrens, der nur langsam vorankam auf dem unebenen Pflaster der Sadowaja, der eleganten Hauptstraße der Stadt. Am menschenleeren Domplatz, einer ausgedehnten Sandfläche, lag hinter einer hölzernen Wand der Wirtschaftshof des Hotel London mit seinen drei Stockwerken, dessen eintönige, langgezogene Vorderfront aus grauem Steinmauerwerk entlang der Sadowajastraße lag, trostlos, ohne Balkone, ohne Pfeiler, ohne Säulen, ohne jeden Zierrat.
Das Hotel London, das erste Haus am Platze, war für seine gute Küche bekannt. Junge Leute aus wohlhabendem Hause, Offiziere, Unternehmer und Adel waren die Klientel seines berühmten Restaurants, wo ein Ensemble aus drei abgemagerten Juden und zwei Ukrainern nachmittags, abends und bis tief in die Nacht mittelprächtige Potpourris ausEugen Onegin undPique Dame, schwermütige Volkslieder und Zigeunerweisen in stampfenden Rhythmen spielte. Was für herrliche Vergnügungen hatte es in diesem angesagten Restaurant gegeben, was für glanzvolle Abendessen, was für ›Orgien‹ – um den Ausdruck zu verwenden, der damals bei uns im Schwange war, wenn die Rede auf die Feste im Hotel London kam!
Das Restaurant des Hotels bestand aus zwei unterschiedlich großen Sälen. Aber es gab keine Nebenräume. Wer abseits der Menge speisen wollte, nahm deshalb im ersten Stock eine Suite aus Salon und Schlafzimmer, die Leo Davidowitsch, der Hotelportier, stets für seine Stammgäste freihielt.
Dieser Leo, ein Jude mit engstehenden, glanzlosen Augen, war der Alleinherrscher im Haus und eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Stadt. Die Honoratioren der Gegend suchten seine Freundschaft und verweilten stets kurz im Foyer, um ein paar freundliche Worte mit ihm zu wechseln. Leo war verschwiegen – und Verschwiegenheit und Anstand kann man beim Portier eines so angesehenen Hotels gar nicht hoch genug schätzen. Wie viele rosa Scheine, ja selbst Fünfundzwanzigrubelnoten mochte er stumm angenommen haben, ohne die geringste Regung in seinem blassen Gesicht, Geldscheine, die ihm die fiebrige Hand eines Mannes zusteckte, der aufgewühlt war von der Vorstellung, hier Unterschlupf für ein Liebesabenteuer zu finden. Die Anzahl von Männern, die das Geheimnis ihrer Glückseligkeit sicher verwahrt sehen wollten, scheint nicht gering gewesen zu sein, denn Leo Davidowitsch besaß immerhin drei Häuser. Daran ist zu erkennen, wie hier das Geld floss, mühelos verdient und freudig mit vollen Händen ausgegeben, und dass das Leben in unserer Stadt feurig war wie die glühenden ländlichen Sommertage in diesem südlichen Regierungsbezirk, dessen Hauptstadt sie war. Wer es in dieser Provinz zu Geld brachte, ob in Bergbau, Industrie oder Landwirtschaft, dachte sehnsüchtig an die unvergesslichen Feste des Hotel London und an die französischen Weine, die er dort noch in Gesellschaft liebenswürdiger Frauen trinken würde.
Eines der drei Häuser von Leo Davidowitsch stand an einer abgelegenen Straße in der Vorstadt, nic