Die kleinen braunen Schuhe
An der Ecke der Strasse war ein Schuhwarenladen: Herrenstiefel, Damenstiefel, grosse und kleine, standen im Fenster, überall war der Preis verzeichnet.
Billig! Billig! Gelegenheitskauf!
In der Mitte, so dass abends das Licht der elektrischen Kugellampe sich voll darüber ergoss, und tags die Sonnenstrahlen ihren Goldflimmer darumwoben, standen ein Paar Kinderschuhe, winzige Schuhchen von braunem Leder mit weichen Söhlchen und weissen Steppverzierungen. Sie waren ausgestopft, kleine himmelblaue Strümpfe ragten aus ihnen hervor; man konnte glauben, trippelnde Kinderbeinchen steckten darin.
„Fünf Mark, schade, das ist so teuer“, sagte die junge, blasse Frau und zupfte ihren Mann am Ärmel. „Du, sieh ’mal! Wie entzückend! Ach, wenn unser Kind die hätte!“
„Eh’ es geboren ist?! Ne du, das muss man nicht, so lang vorher was kaufen! Darin bin ich abergläubisch!“
Sie lächelte.
„Ich hab’ schon oft hier gestanden, ich kann gar nicht vorbeigehen. Alle Tage fürcht’ ich, sie sind weg. Das wäre schrecklich!“
Ein Ausdruck von Angst kam in ihr schmales Gesicht. „Wenn er die verkaufte, eh’ unser Kind geboren ist!“
Sie wagte nicht zu sagen: Kauf du sie doch! Sie war sehr still, sehr schüchtern. Ihre Augen ruhten mit einem merkwürdig verträumten Blick auf den kleinen, braunen Schuhen; seufzend und zögernd nur wandte sie sich ab.
Kanzleisekretär Mauke war mit seiner jungen Frau auf dem Spaziergang ins Freie; das heisst, sie wanderten ihre entlegene Vorstadtstrasse zu Ende. Die Häuser standen hier nur noch vereinzelt, von kleinen Leuten bis unters Dach bewohnt. Ungehindert vom Wagenverkehr trieben Rudel von lärmenden Kindern ihr Wesen. Da waren noch leere Bauplätze mit Schutthaufen und Sandgruben, und weiterhin primitiv umzäunte Ackerstückchen mit Bretterlauben. Hochgeschossene Sonnenblumen nickten, und verblühte rote Bohnen machten schwache Kletterversuche. Weithin breitete sich die sandige Fläche, das Vorland der grossen Stadt, die Herbstsonne stand darüber wie ein roter Ball; langsam rutschte der Ball tiefer und tiefer am Horizont.
Sie schlenderten hinein in die Röte, das Gesicht der jungen Frau war wie verklärt; sie hatte Tränen in den Augen, heimlich flüsterte sie: „Die Schuh, die schönen Schuhchen!“
Nachts träumte sie von ihnen. Oben, vier Treppen hoch, in der kleinen Wohnung tanzten sie über die Dielen; immer vorm Bett hin und her. Ihr braunes Leder glänzte und knarrte leise, die weissen Steppnähte blinkten freundlich, — sie lachten einen ordentlich an — die weichen Söhlchen glitten dahin wie schmeichelnde Katzenpfötchen. Und statt der himmelblauen Strümpfe steckten rosige Beinchen in den Schuhen — hei! wie flink die waren!
„Mariechen, lieg ruhig!“ Der Kanzleisekretär beugte sich über seine Frau. „Ist dir was?“
Sie war noch ganz verschlafen; verwirrt hob sie den blonden Kopf vom Kissen. „Ich habe von den — ach, du weisst schon! — so wundervoll geträumt!“
„Na, so was!“ Er war einigermassen beunruhigt. Als er am anderen Morgen in seinem abgeschabten Überzieher zum Bureau rannte, stand er an der Ecke still.
Im vollsten Sonnenglanz präsentierten sich die braunen Schuhe hinter der grossen Scheibe; sie waren wie in Gold getaucht, — Goldkäferchen, — er sah sie hüpfen. So reizend! Sie taten’s ihm an. Bah, abergläubisch musste man nicht sein! Wenn er Mariechen die Dinger da plötzlich auf die Kommode stellte, wie würde sie sich freuen! Er hörte schon ihren entzückten Schrei.
Fünf Mark! — Sinnend stand er.
Ein Windstoss kam plötzlich um die Ecke und traf ihn empfindlich kühl; die Sonne verkroch sich, schwarz gähnte das Schaufenster, und die Goldkäferchen waren tot,