I.
Hinter dem sandigen Hügel hebt sich eben die Sonne empor. Die Kiefern auf der Höhe werden rot umstrahlt, haarscharf zeichnet sich jede Nadel der struppigen Äste auf dem durchglühten Morgenhimmel ab. Ein scharfer Frühwind weht; das Hungermoos, das, grauweißen Bartzipfeln gleich, an den Stämmen hängt, flattert. Zuckende Lichter überhuschen die spärliche Grasnarbe, die kaum die knorrigen Wurzeln deckt, fingernde goldne Strahlen greifen hierhin und dorthin, strecken sich länger und länger, leuchten wärmer und wärmer.
Unten in der endlosen Weite der Felder noch bleichgrauer kalter Dämmerschein. Dampfende Nebel steigen aus den Senkungen und ziehen ihre weißen Gespinste über den Acker, bis sie fern an der blauen Wand des Waldes in Fetzen zerflattern.
Fahl schimmern in der Dorfgasse die gekalkten Giebel der Hütten, nur die hohen Mauern der Kirche zeigen schon warme Reflexe. Die Kastanienbäume am Portal schütteln sich, daß ein Regen von nachtfeuchten, gelben Blättern niedertrieft; ein herber bitterlicher Herbstduft steigt auf vom fallenden Laub.
Auf dem Pfuhl an der Straße rudert eine Schar Enten; lautlos, langsam, wie verschlafen, folgt eine der andren, einen helleren Streifen im dunklen Wasser nach sich ziehend. Jetzt richtet sich der Enterich kerzengerade auf, schlägt das Wasser mit den Flügeln, daß Tropfenperlen rings versprühn —, die ganze Schar bricht in lautes Geschnatter aus.
Auf Barthel Heinzes Dunghaufen erhebt der Hahn ein durchdringendes Kikeriki; feurig glühn die Firste der niedrigen Strohdächer, die Heinzen stößt die Läden auf — in der Stube wird es hell.
Der Tag ist da.
„Mach der nu uff“, sagte der Bauer zur ältesten Tochter und erhob sich schwerfällig hinterm Tisch, der die Reste des Frühstücks: Brotkrumen, Kartoffelschalen und den geleerten Suppennapf zeigte. „Laß der’sch gutt gehn, un schreib ooch! Halt der brav! Daß de tüchtig was sparst im Dienst! Schick’s Geld nur glei heeme, ich tu’s in Schwerin auf de Sparkass. Laß der nich beifallen, daß de’s verjuxst! Das sag ich der: kommste heeme un hast nischt vor der gebracht, kriegste de Hucke voll!“
„Ich wer’ schon, Vatter, ich wer’ schon“, versicherte die Tochter.
„Ei, die Mine is doch een guttes Kind“, sagte die Mutter weicher und strich mit der knochigen Hand dem Mädchen die Falten am kornblumenblauen Sonntagskleid herunter. „Was der Stoff sich scheene trägt! Verunjenier nicht, Mine! Ei, Heinze, laß nur, se wird sich schon schicken in Berlin. Arbeiten kan se — ju ju, das hammer se gelehrt. Da ist keine Herrschaft nich betrogen. Laß der nischt vormachen, Mine, laß der nich die Butter vom Brot nehmen, ooch von de Herrschaft nich! Kuck, daß de zu was kommst, schick brav heeme und bleib gesund!“
„Ich — wer’ — schon!“ Nun schluchzte das Mädchen.
Obgleich Wilhelmine Heinze schon zweiundzwanzig Jahre zählte und eine große breitschultrige Person war, die ihren Zentnersack Kartoffeln auf dem Rücken schleppte, so weinte sie doch wie ein Kind. Nun es ernstlich an den Abschied ging, wurde ihr der so schwer, wie sie es nie für möglich gehalten. Mit einem langen Blick sah sie sich im Zimmer um, wo die Kuckucksuhr an der Wand tickte und neben dem Ofen das hochgetürmte Bett der Eltern an der Wand stand.