: Martin Lechner
: Der Irrweg
: Residenz Verlag
: 9783701746422
: 1
: CHF 15.30
:
: Erzählende Literatur
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit 'Der Irrweg' ist Martin Lechner erneut ein abgründiges und lustvolles Verwirrspiel der Sonderklasse gelungen. Sprachgewaltig, komisch und ausdrucksstark erzählt Martin Lechner vom Schulabbrecher Lars, der seinen Zivildienst in den Werkstätten einer psychiatrischen Anstalt ableistet. Nur im 'Brockwinkel' findet Lars Zuflucht vor seiner Mutter, deren Übergriffe schlimmer sind als jeder tobende Patient. Hier begegnet Lars auch der Insassin Hanna, die ihn aus dem Nichts in die herrlichsten Handgreiflichkeiten verwickelt, deren Kompromisslosigkeit jedoch bald bedrohliche Ausmaße annimmt. Ist sie es, die das Auto des Werkstättenleiters abgefackelt hat? Und werden die Flammen ihrer Liebe bald auch den durchs Leben stolpernden Lars verbrennen? Und kann, wer auf dem Irrweg ist, je zurückfinden in ein geordnetes Leben?

Martin Lechner, geboren 1974, Studium der Philosophie und Literaturwissenschaft an der Universität Potsdam. Seit 2005 zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften wie 'Bella triste', 'manuskripte' und 'Edit'. Martin Lechner lebt in Berlin. Sein gefeierter erster Roman 'Kleine Kassa' stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreis 2014, sein Erzählband 'Nach fünfhundertzwanzig Weltmeertagen' (2016) auf der Shortlist für den Clemens Brentano-Preis 2017. Die Arbeit an 'Der Irrweg' wurde mit einem Stipendium des Berliner Senats gefördert.

Beschäftigungsstätte


Lars, der sich vor zehn Monaten albernerweise für den Zivildienst in der Psychiatrischen Anstalt am Stadtrand von Linderstedt gemeldet hatte, betrat die Beschäftigungsstätte pünktlich um halb acht. Herr Lehm saß bereits in seinem engen, nach Achselschweiß und Ärger riechenden Kabuff, glücklicherweise, denn viele Wortwechsel zwischen dem Leiter der Arbeits- und Beschäftigungstherapie und dem ihm unterstellten Zivildienstleistenden endeten damit, dass Lars die Augenbrauen so weit herunterzog, dass der obere Teil seines Sichtfeldes, in den Lehms verbeult wirkender Kopf hineinragte, dunkel weggeblockt wurde. Das wirkte zwar, als hätte er die Kontrolle über sein Gesicht verloren, aber er konnte den Mann, der seinen Auftrag darin sah, den lädierten Seelen erneute Leistungsbereitschaft einzudrillen, nicht leiden. Da half es auch nichts, dass dieser ihm gleich am ersten Tag erzählt hatte, dass ihn seine Frau vor einem Jahr im Stich gelassen habe. Nach fünfundzwanzig solide absolvierten Ehejahren, wie er mit einem verlangsamten Kopfschütteln angefügt hatte, bei dem ihm vermutlich das ganze öde Eheelend im Zeitraffer durchs Bewusstsein gerattert war.

Lars hustete zur Begrüßung und bezog Posten in der Küche. Zunächst musste er das Wasser zehn Minuten lang laufen lassen. Über Nacht lagerte sich Blei in den Rohren ab. Polternd rauschte der Strahl ins Spülbecken und verströmte einen stechenden Metallgeruch. Als Nächstes kam der sogenannte Cofachtherapeut Rupp. Stumm steckte er den