: Christian Pross
: Wiedergutmachung Der Kleinkrieg gegen die Opfer
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863935627
: 1
: CHF 13.50
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: Geschichte
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Alliierten, der Staat Israel und die Conference on Jewish Material Claims als Interessenvertreter der Millionen ermordeten und geschädigten Juden schlossen 1952 zwischenstaatliche Verträge mit der Bundesrepublik ab, Wiedergutmachung zu leisten. Christian Pross beschreibt umfassend sowohl die Geschichte der Wiedergutmachung als auch ihre Praxis: die oft restriktive Anwendung der Gesetze, die mangelnde Bereitschaft vieler Ärzte zur Hilfeleistung bei der Begutachtung gesundheitlicher Schäden und die mangelnde Fähigkeit, diese mit dem erlittenen Unrecht in Verbindung zu bringen. Er belegt anhand vieler Beispiele und Einzelfälle, wie über Anträge auf Wiedergutmachung entschieden wurde. Die Entwicklung anderer Länder nach dem Ende einer Diktatur zeigt: Gerechtigkeit für die Opfer, ihre gesellschaftliche Anerkennung und das Zur-Rechenschaft-Ziehen der Täter gestalten die Zukunft der Gesellschaft, ob sie den Weg in die Demokratie oder den Rückfall in die Diktatur einschlägt. Die Geschichte der deutschen Wiedergutmachung spiegelt einen solchen Prozess und sie ist deshalb hoch aktuell.

Christian Pross, geb. 1948, ist Arzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie, Medizinhistoriker und Honorarprofessor an der Charité. Er ist Mitbegründer und war von 1992 bis 2003 Leiter des Behandlungszentrums für Folteropfer (bzfo e.V.). Forschung und Publikationen über Medizin im Nationalsozialismus, die Verfolgung jüdischer Ärzte sowie über die Behandlung von traumatisierten Flüchtlingen und Stasi-Verfolgten, u.v.a. Neueste Publikation: 'Wir wollten ins Verderben rennen: Die Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs Heidelberg' (2016). Weiteres Arbeitsgebiet: Supervision von Helferteams in Traumazentren und psychosozialen Einrichtungen. 2009 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. 2010-2013 war er Mitglied im Unterausschuss der Vereinten Nationen zur Prävention von Folter.

Vorwort zur 2. Auflage


Ein Jahr nach Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches, im Jahr 1988, fiel die Berliner Mauer. Die damalige Debatte über die ausgebliebene Wiedergutmachung für die „vergessenen Opfer“ des Nationalsozialismus trat vor diesem historischen Ereignis in den Hintergrund. Auch das Buch, das zunächst eine große Resonanz gefunden hatte, verschwand in der Versenkung. Einige Ereignisse der letzten Jahre – nicht zuletzt das Ringen um eine Entschädigung für die Zwangsarbeiter – verleihen ihm jedoch wieder eine gewisse Aktualität. In Chile, in Argentinien, in Südafrika und in den Ländern des ehemaligen Ostblocks ist eine für unbesiegbar gehaltene jahrzehntelange Diktatur gefallen. Auf die revolutionäre Euphorie folgte Ernüchterung, und die Trümmer, die die totalitären Regime hinterlassen haben, lasten wie ein Alp auf der Nachwelt. Die Hoffnungen der Widerstandskämpfer und Opfer auf einen radikalen Wandel und Neubeginn werden oft enttäuscht. Meist haben sich die Repräsentanten des „Ancien Régime“ schnell reorganisiert und bewegen sich nur allzu gewandt auf dem Parkett der neuen Ordnung, während die Opfer ins gesellschaftliche Abseits geraten.

Straffreiheit für die Täter eines Unrechtsregimes kann bei den Opfern eine Reaktualisierung des Traumas auslösen. Von KZ-Überlebenden ist bekannt, daß die Nachricht über die Freisprechung eines KZ-Schergen durch die deutsche Justiz heftige seelische Reaktionen auslösen konnte. Die Nürnberger Prozesse unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, der Eichmann-Prozeß in Jerusalem und der Auschwitz Prozeß in Frankfurt in den sechziger Jahren hatten eine enorme Bedeutung für die Überlebenden des Holocaust. Sie schufen ein Stück Gerechtigkeit und Genugtuung. Untersuchungen aus Argentinien zeigen, daß die Straffreiheit und der fortdauernde politische Einfluß der Militärs, die für während der Diktatur begangene Verbrechen verantwortlich sind, die Opfer in die Sprechstunden von Psychotherapeuten treiben (Edelman et al., 1995). Ebenso wichtig wie das Zur-Rechenschaft-Ziehen der Täter ist eine wie auch immer geartete Form gesellschaftlicher Anerkennung dessen, was die Opfer durchlitten haben. Die Wahrheitskommission in Südafrika versuchte beides zu verbinden. Jedes Land, jede Kultur baut auf historischen Vorbildern auf und entwickelt daraus ihr eigenes Modell. Die bundesrepublikanische Wiedergutmachungsgesetzgebung enthält sowohl Modellhaftes als auch Abschreckendes. Von diesem Widerspruch handelt das vorliegende Buch.