: Julia Kristeva
: Das weibliche Genie. Hannah Arendt
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863935665
: 1
: CHF 13.50
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: Philosophie, Religion
: German
: 388
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Julia Kristeva ist auch im deutschsprachigen Raum durch eine Vielzahl von Publikationen als Literaturtheoretikerin und Psychoananlytikerin bekannt. Wenn sie sich der jüdischen, politischen Philosophin Hannah Arendt widmet, dann birgt schon diese Konstellation von Autorin und Sujet eine gewisse Spannung in sich, die dadurch zusätzlichen Reiz gewinnt, daß sie Leben und Denken der Philosophin unter die Maßgabe dessen stellt, was sie als weibliches Genie, 'le génie féminin', zu erfassen sucht. Das Buch setzt mit einer biographischen Skizze ein, die die geistige Entwicklung Hannah Arendts in einer Weise nachzeichnet, die - etwa im Blick auf ihre Beziehung zu Martin Heidegger - Denken und Biographie nicht einfach trennt: Julia Kristeva kennt Hannah Arendts Lehrmeister Platon, Aristoteles, Augustinus und Kant gut genug, um ihren Lesern auseinandersetzen zu können, worin Hannah Arendt ihre eigenständige Lesart klassischer Philosophie entwickelt hat. Wonach Hannah Arendt suchte und woran sie bis zu ihrem Tod 1975 arbeitete, sei 'eine nicht-subjektive Fundierung der Politik' als Antwort auf die Erfahrung des Grauens totalitärer Systeme im 20. Jahrhundert. Aber nicht die Reflexion über Macht und Gewalt stehe bei der Autorin der 'Vita Activa' im Zentrum ihres Denkens, sondern das Eingedenken der 'Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens'. Arendts Genie wäre in eben dieser Bewegung zwischen Denken und existentieller Erfahrung zu verorten, die uns die Bilder einer komplexen und standardisierten modernen Welt vor Augen führt und gleichzeitig an das humane Versprechen erinnert, das in jeder einzelmenschlichen Existenz liegt.

Julia Kristeva, 1941 in Bulgarien geboren, emigrierte 1965 nach Paris und traf dort auf die strukturalistische Gruppe Tel Quel, deren theoretischer Kopf sie wurde. Ihr erstes Buch, 'La révolution du langage poétique', eine Untersuchung der Symbolstrukturen, machte sie über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt. Ab 1974 hatte sie einen Lehrstuhl an der Universität Paris VII (Université Paris Diderot) inne. 1979 begann sie eine zweite Karriere als Psychoanalytikerin in der Tradition der Lacan- Schule. 'Das weibliche Genie - Hannah Arendt' ist Band 1 der Trilogie 'Das weibliche Genie. Das Leben, der Wahn, die Wörter' über Hannah Arendt, Melanie Klein und Colette.

Das weibliche Genie


Allgemeine Einführung


Eine der größten Leidenschaften des Genies
ist die Liebe zur Wahrheit
.

Laplace

»Was für ein Genie!«: Talent, natürliche Begabung, außergewöhnliche Suche nach Wahrheit – in jüngerer Zeit verdrängt der Ehrgeiz der Menschen, sich »Genie« zuzusprechen, die antike Vergöttlichung der Persönlichkeit. Der göttliche Geist1, von dem angenommen wird, er wache über die Geburt des künftigen Helden, hat sich in eine bemerkenswerte Innovationsfähigkeit verwandelt: »Vor allem diese Erfindung schien eine Gabe der Götter zu sein, dieseringenium quasi ingenitum, eine Art göttlicher Eingebung.« (Voltaire) Dann kam man durch einfache Metonymie oder Analogie darin überein, »Genie« die Person selbst zu nennen, die »Genie hat« oder ganz einfach Einfluß auf jemanden.2

Hannah Arendt, eine der Protagonistinnen dieses dreiteiligen Buches, setzt sich unbekümmert über das »Genie« hinweg, das ihrer Meinung nach von den Männern der Renaissance erfunden wurde: Unzufrieden darüber, sich mit den Früchten ihrer – wenn auch immer grandioseren – Tätigkeiten gleichgesetzt zu sehen, und Gott immer mehr verlierend, hätten sie dessen Transzendenz auf die Besten unter ihnen verlegt. Als Trost bezeichnet dasGöttliche seit dieser Epoche, als »Genie« verkleidet, ein Geheimnis, das den Künstler in jemand Unvergleichlichen verwandelt. Soll man darin den Einbruch des Absoluten in uns, eine Herausforderung der Menschheit, den Ruf nach dem Übermenschen sehen? Oder die Weigerung, sich auf die Ebene von »Produkten« oder des »Scheins« in einer »Konsum«- oder »Show«-Gesellschaft herabziehen zu lassen? Wir sehen vielmehr im »Genie« eine therapeutische Erfindung, die uns davor bewahrt, in einer Welt ohne Jenseits an Gleichheit zu sterben.

Von »Genie« sprechen – ohne den »bösen Geist« zu vergessen, der seine ganze Mühe entfaltete, um selbst Descartes irrezuführen –, ist das noch möglich? Heute scheint mir der Begriff des »Genies« paradoxe Abenteuer, einzelne Erfahrungen und erstaunliche Überschr