1.
Amerika also. In diesem Kaff waren wir nun für ein Semester zu Hause.
Keine Menschenseele auf den abendlichen Straßen.
Entlang der spärlich beleuchteten Herbstalleen nur vereinzelt Häuser, die einen bewohnten Eindruck machten.
DieAdresseführte uns zu einer alten Stadtvilla auf einem Hügel. Hinter einem Eisengitter das efeubewachsene Haus. Punkt 20 Uhr. Miro zog die Handbremse fest.
»Oh Scheiße, ich muss echt mal für kleine Königstiger!« In seinen fleckigen Jogginghosen und der Basecap mit der Aufschrift »Bronx« machte er ohnehin nicht den besten Eindruck. Jeden Moment würde Herr Zankzahn auftauchen und uns die Schlüssel überreichen. Also verbot ich meinem Mitbewohner, in den Vorgarten der Villa zu pinkeln.
»Das ist doch wie in einem schlechten Film.« Kenny schnaubte kleine Wölkchen aus Panik und Raucherlunge in die Luft. »Hier bleib ich kein Semester. Hier bleib ich keinen einzigen Tag.« Eilig fummelte er sich einen Filter aus seiner hippen Bauchtasche in den Mund. Seine Finger zitterten empört. Stimmt, dachte ich. Was ein schlechter Film. Drei Berliner Hipsterkids in der sächsischen Einöde. Von wegen große Freiheit. Amerika war ein kleines Provinzloch. Zweifelsfrei hatte sich die GmbH, die uns das Studium an der »International School OfBusiness« verkaufthatte, im Vertrag bewusst äußerst vage ausgedrückt, als es um das Pflichtsemester in »Amerika« ging. Die genauere Ortsbezeichnung »Landkreis Mittelsachsen« auf Seite sechs war mir erst aufgefallen, als das Geld schon unwiderruflich auf dem Konto der privaten Institution gelandet war. Ätschbätsch, reingefallen. Jetzt war es zu spät.
In der Ferne hörte man eine Eule. Oder war es eine Nachtigall? Ich hatte keine Ahnung. Unser Atem war in der dunklen Nacht nicht vom Zigarettenqualm zu unterscheiden. Einige unheimliche Momente vergingen. Miro seufzte.
»Wann kommt der Kerl denn? In der Zeit hätte ich ja zehnmal pissen gehen können! Außerdem frieren meine Klöten gleich ab.«
»Ich ruf mal an.« Mit eingefrorenen Fingern fischte ich in der Jackentasche nach meinem Handy, da vibrierte es bereits.
»Guten Tag, Herr Zankzahn, wie geht es Ihnen?« Pipifreundlich wie immer, ließ ich unsere akute Pinkelnot und das Klötenklirren erst mal unerwähnt.
»Fräulein Flieker? Ja, wärum gömm se denn nisch rein?«
Plötzlich bewegte sich im ersten Stock etwas am Fenster. Der alte Spion drückte sich bereits hinter der Gardine rum und beobachtete uns mit grimmiger Miene.
Miro wisperte ängstlich unter seiner Kappe hervor. »Würde mich nicht wundern, wenn der bei irgendeiner Stasi-Organisation im Vorstand war.« Im selben Moment öffnete der streng aussehende ältere Herr mit Strickjoppe und bedrohlich gezwirbeltem Schnurrbart die imposante Eingangstür. Ich entdeckte eine Überwachungskamera. Gut, dass Miro hier nicht hingepinkelt hatte.
Herr Zankzahn wirkte nicht gerade wie ein Mitglied des dörflichen Kuschelvereins.
»Na denn, fölgense mia.«
Die Altherren-Pantoffeln stapften bis in den obersten Stock. Im Treppenhaus lagen Deko-Kürbisse.
»Gömmse rauf. Hier is des Zimmöa vom Ivööh.« Schnaufend öffnete der übellaunige Onkel eine kleine Tür, auf der drei farbenfrohe Holzlettern vom ehemaligen Bewohner zeugten:Ivo. Dahinter verbarg sich eine steile Wendeltreppe. Miro und ich wechselten vielsagende Blicke. Der Dachboden war kleinund staubi