Mein lieber Freund, meine liebe Freundin, was ist Angst? Wie Dir sicherlich klar sein dürfte, ist die Frage sehr einfach zu beantworten und auch wieder nicht, denn Du wirst Dich verständlicherweise nur sehr ungern und widerstrebend einfühlen wollen, um die Emotion der Angst in Dir zu erkunden und auf tiefer Ebene zu erforschen.
Angst ist Dir vertrauter, als Dir lieb ist, ist sie doch Euer aller ständiger Wegbegleiter durch das Leben, ja, mehr noch, Angst ist sozusagen des Menschen Eintrittskarte für seinen Besuch in der Materie. Dennoch wisst Ihr kaum etwas über sie. In Band I Des Menschen Wunsch und Gottes Wille haben wir viel über Angst gesprochen und erkannt. Nun wollen wir uns also vorrangig, ja, im Grunde ausschließlich, diesem Grundproblem menschlichen Daseins widmen, denn Dir ist bewusst, dass Angst nicht etwa eines von vielen Deiner menschlichen Probleme ist, sondern das einzige. Wenn dem nicht so wäre, hieltest Du diese Zeilen nicht in Händen.
Angst ist nicht eines von vielen menschlichen Problemen, sie ist das einzige.
Nun, meine liebe Freundin, mein lieber Freund, es liegt uns fern, Dich mit ständigen Wiederholungen von bereits Erkanntem zu langweilen und zu überfordern, denn wenn es etwas in dieser Welt gibt, dem Grenzen gesetzt sind, dann ist es die menschliche Geduld(Anm. der Verfasserin: Scherzhaft gesagt).
Dennoch werden wir gemeinsam nicht umhin kommen, in manchen Aspekten immer wieder auf gewisse Einsichten aus Band I Des Menschen Wunsch und Gottes Wille zurückzugreifen und auf bereits Verstandenes zu verweisen. Zum Ersten ist dies so, weil diese Zeilen für sich selbst stehen können und verständlich sein sollen, denn es sollte jedem Leser völlig freigestellt bleiben, was er überhaupt oder in welcher Reihenfolge lesen und erkunden möchte. Zum Zweiten wird Dir auch nach und trotz der Lektüre von Des Menschen Wunsch und Gottes Wille schnell bewusst werden, dass es sich um mehr als um bloße Wiederholung handelt, wenn ein bereits erforschter und bekannter Sachverhalt unter einem anderen, neuen oder erweiterten Aspekt oder Zusammenhang gesehen wird.
Das Einzige, das man der Angst als solche erst einmal und mit Sicherheit nachsagen kann ist, dass niemand sie will. Angst ist die unangenehmste aller menschlichen Emotionen, unangenehmer und unerträglicher als jedes andere Gefühl, dessen ein menschliches Gemüt fähig ist. Nun, um diesen wichtigen und vielsagenden Umstand zu erforschen, kommen wir um einen ersten Rückgriff auf unsere vorangegangenen Erkenntnisse nicht umhin: Warum ist dem so?
Es ist unumgänglich, sich der Gründe für die emotionale ›Qualität‹ von Angst voll und ganz bewusst zu sein, bevor man ein geeignetes Gegenmittel ausmachen kann. Soll ein Feind besiegt werden, muss er erst einmal zweifelsfrei identifiziert sein. Bevor Du wissen kannst, was einem Konzept entgegenzusetzen ist, muss es erkannt sein. Die oberflächliche Betrachtung dessen, was Angst oftmals oder sogar meist zu sein scheint, würde uns nur auf eine falsche Fährte führen und in der Sackgasse enden lassen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Du den richtigen Köder brauchst, wenn Du eine Beute zur Strecke bringen willst.
Angst ist, zumindest auf den ersten Blick, so schwer zu fassen, weil sie so viele verschiedene Gesichter annehmen kann. Sie scheint, in ständigem Wechsel begriffen, jedes Mal und in jedem Fall anderen Prinzipien zu gehorchen und zu folgen. Doch dem ist nur bei flüchtiger Untersuchung so. Die Formen und Umstände der äußeren Erscheinung berühren dennoch nicht die Essenz, aus der die Angst besteht und hervorgeht. Und genau hier, in diesem Umstand, liegt die machtvollste und wichtigste Wahrheit für die Bekämpfung und Überwindung von Angst begründet:
Angst ist berechenbar. Darin liegt ihre große Schwäche.
Sowie der Mensch in die Materie eintritt, fühlt er sich von seinem Ursprung und damit von seiner wahren Natur getrennt. Als ein von Deinem Schöpfer getrennt existierendes Wesen nimmst Du Dich nicht mehr als integraler, gültiger Bestandteil der großen Einheit von Alles-was-Ist wahr. Du kannst diese Wahrheit vielleicht noch als ein wohlklingendes theoretisches Gedankenkonstrukt akzeptieren, aber Du nimmst die Wirklichkeit der Verbundenheit von allem mit allem nicht als wirkliche und wahrhaftige Realität wahr. Es ist Sinn und Zweck des Einstiegs in die materielle Dimension, zur bewussten Erkenntnis der Einheit innerhalb der dualen Spaltung zu erwachen.
Ihr habt Euch dazu entschieden in die tiefste Dunkelheit einzutauchen um zu erforschen und zu prüfen, ob Ihr gewillt und somit in der Lage seid, Euch aus der Dunkelheit heraus als das Licht wieder zu erkennen, das Ihr wirklich seid. Ihr befindet Euch sozusagen in einem völlig abgedunkelten Raum, tastet Euch selbst ab und fragt Euch unablässig: »Was um alles in der Welt bin ich