GEBURTSTAG
Aus dem fernen Land von Butter, Käse und Eiern ist meine Tante als Gast ins eigene Haus zurückgekehrt.
Das von den Reise zerdrückte fettige Päckchen, das sie Mutter gibt, kommt in die verschlossene Speisekammer: ein kostbarer Schatz.
»Holländischer Käse und holländische Butter« sagt sie mit der Betonung auf ›holländisch‹, denn dort ist ihrer Ansicht nach alles besser ...
Ich denke an grünes Gras, an bunte Kühe in einer Landschaft ohne Berge, wo die Ferne nur ein Strich ist: eine kleine Skizze in Tantes fast leerem Haus.
Für mich hat sie eine flache Schachtel mit wolligen Kätzchen auf dem Deckel mitgebracht. Im weißen Satinbett liegt eine lange Reihe Katzenzungen aus Schokolade, zu schön um sie zu essen.
Meinen Namen spricht sie so komisch aus, als würde sie sich beim G die Kehle räuspern, und manchmal verstehe ich nicht, was sie meint. »Das kommt daher, weil sie Holländerin ist«, hat Oma mir mit einem mitleidigen Lächeln anvertraut.
Sie streitet sich mit meinen Eltern und will sie überreden, ebenfalls in ihr wasserreiches Land auszuwandern. Vater sagt, das sei Unsinn und panisches Getue. An ihre Gruselgeschichten glaubt er nicht.
Ihre Augen blicken zornig durch die dicken Brillengläser, weil Vater sich ihren Worten gegenüber taub stellt, und beim Abschied deutet sie auf mich und sagt: »Tu es ihm zuliebe.«
In einem zu langen, mottenzerfressenen grauen Wintermantel mit schwarzem Samtkragen steht er vor unserer Wohnungstür. Auf seinem Kopf ein dunkler, fettiger Filzhut. Über dem Hutband weiße Linien wie verschwommene Schneeberge. Die langen braunen Haare fallen in Locken unter dem Hut hervor. Mit den traurigen Falten um Augen und Mund sieht er dem alten freundlichen Bluthund unseres Zahnarztes ähnlich.
Unter seiner linken Achsel klemmt ein abgestoßener Geigenkasten, an der Hand baumelt ein verbeultes und zerkratztes Köfferchen. Mit der anderen Hand sucht er Halt am Türpfosten. Aus seinem weinerlichen Deutsch verstehe ich nur so viel, daß er meine ›Mame‹ oder meinen ›Tate‹ sprechen will.
Mutter kommt die Treppe herauf. Sie erschrickt nur ein wenig, als sie den Mann an der Tür sieht.
Ihre Besorgtheit und ihr Mitleid kenne ich schon, denn er ist nicht der erste Flüchtling, der bei uns um Obdach, Essen oder Geld anklopft.
In der Küche, einen Teller mit Butterbroten vor sich, erzählt er zwischen den Bissen seine Geschichte, von der ich nur Bruchstücke verstehe.
Nach Polen muß er zurück. In Deutschland darf er nicht bleiben. Hausieren ist jetzt verboten, die Braunhemden haben ihn mit Knüppeln und Fäusten geschlagen. Wegen seiner jiddischen Aussprache hat man ihn verspottet, sogar die deutschen Juden sind manchmal hartherzig. Seine Geige will er uns verkaufen, aber Vater lehnt mißtrauisch ab. Er setzt den Preis herunter, klappt aber den schmuddeligen Kasten schließlich wieder zu, als ihm Vater etwas mürrisch Papiergeld in die Jackentasche steckt.
Abends im dunstigen warmen Badezimmer wickelt Mutter mich in das große weiße Frottiertuch und schlägt plötzlich die Arme um mich. Ihre Augen schimmern feucht: »So etwas darf uns nicht passieren, das kann nicht wahr sein.« Und unter Tränen lachend flüstert sie trotzig: »Und Vaters