: Pierre Bourdieu, Luc Boltanski, Robert Castel, Jean-Claude Chamboredon, Gerard Lagneau, Dominique Sc
: Eine illegitime Kunst Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863935252
: 1
: CHF 13.50
:
: Fotografie, Film, Video, TV
: German
: 334
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine 'illegitime Kunst' nennen Bourdieu und seine Mitarbeiter die Fotografie. In der Tat gilt sie als 'Zwitter': als Alltagshandlung mit dem Anspruch einer Kunstanstrengung. Welchen Zwecken gehorcht die Fotografie? Sind Fotografien Bilder in dem strengen Sinne, mit dem dieses Wort in aller Regel ausgestattet wird? Und welche stillschweigenden oder ausdrücklichen Vorsätze steuern den technischen Apparat, wenn ein Foto 'geschossen' wird? In diesem Buch wird die Fotografie unter dem Gesichtspunkt ihres Gebrauchswertes untersucht. Denn es ist, wie Bourdieu sagt, der Gebrauch, der ihre Bedeutung konstituiert, eine soziale Bedeutung. Dies erklärt sowohl die Verbreitung des Mediums als auch die Uniformität der Bildmotive. Und es erklärt den besonderen Status des Fotografierens innerhalb der kulturellen Alltagstätigkeiten es signalisiert eine kodifizierte Verhaltensweise, die 'den Anspruch erhebt, Kunst zu sein'.

Pierre Bourdieu (eigentlich Pierre-Félix Bourdieu; 1. August 1930 in Denguin, Pyrénées-Atlantiques; 23. Januar 2002 in Paris) war einer der bekanntesten Soziologen des 20. Jahrhunderts. Er studierte Philosophie in Paris an der École Normale Supérieure und arbeitete als Lehrer. Seit 1981 hatte Bourdieu einen Lehrstuhl am Collège de France. Im Jahre 1993 wurde er mit der 'Médaille d'or du Centre National de la Recherche Scientifique' (CNRS) ausgezeichnet. Pierre Bourdieus soziologische Forschungen, zumeist im Alltagsleben verwurzelt, waren vorwiegend empirisch orientiert. Er war bekannt als politisch interessierter und aktiver Intellektueller, der sich gegen die herrschende Elite und den Neoliberalismus wandte.Luc Boltanski wurde 1940 als Kind eines jüdischen Arztes und einer katholischen Mutter in Paris geboren. Zunächst Schüler von Pierre Bourdieu, etablierte er dann eine eigene Soziologie der Kritik. 1984 gründete er die Groupe de Sociologie Politique et Morale an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

Pierre Bourdieu
Einleitung


Die Praxis der Photographie und die Bedeutung des photographischen Bildes – können und müssen sie zum Thema soziologischer Forschung werden? Es waren Gedanken Max Webers, die der Vorstellung Gewicht verliehen, daß der Wert eines Forschungsgegenstandes vom Interesse des Forschers abhängt. Dieser nüchterne Relativismus läßt zumindest den Schein einer selbstgewählten Interaktion zwischen dem Forscher und seinem Objekt bestehen. Freilich ließen noch die unzulänglichsten Methoden der Wissenssoziologie erkennen, daß in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten die legitimen Untersuchungsgegenstände einer hierarchischen Ordnung unterliegen. Muß die Soziologie, Erbin einer Tradition der politischen Philosophie und der Theorie sozialen Handelns, den Entwurf einer Anthropologie anderen Disziplinen überlassen, und darf sie unter Beschränkung auf die allgemeinsten und abstraktesten Bedingungen menschlicher Erfahrungen und Handlungen jene Verhaltensweisen als belanglos verwerfen, deren geschichtliche Bedeutung nicht unmittelbar einleuchtet?

Es genügt ja keineswegs, Soziologie der Soziologie zu betreiben, um deutlich zu machen, daß sich nur allzu oft hinter ihren ehrgeizigen Vorhaben ein immenser Verzicht verbirgt. Zweifellos ist es die nämliche grundsätzliche Intention, die dazu führt, daß aus der Wissenschaft einerseits bestimmte, für bedeutungslos erachtete Gegenstände verbannt und daß andererseits unter dem Vorwand der Objektivität die Erfahrungen jener, die sie betreiben, sowie derer, die ihren Gegenstand ausmachen, verdunkelt oder ausgeschlossen werden.

Man macht es sich zu leicht, wenn man jeden Versuch, die Erfahrungen der handelnden Subjekte in eine objektive Deskription wiedereinzuführen, dadurch in Mißkredit bringt, daß man diese methodologische Forderung mit jenen Versionen einerpetitio principii in eins setzt, die gewisse Verteidiger geheiligter Rechte der Subjektivität den Sozialwissenschaften entgegenhalten, ohne gewahr zu werden, daß sie der methodologischen Entscheidung, »die soziologischen Tatbestände wie Dinge zu betrachten«, ihre entscheidenden Fortschritte verdanken.

Im übrigen ist es durchaus verlockend, die Vorstellung einer allgemeinen Anthropologie zurückzuweisen, da diese ordnende Vorstellung ja durchaus als ein unerreichbares Ideal erscheinen muß: Tatsächlich weicht der Punkt immer weiter zurück, von dem aus der Soziologe in einem einheitlichen, umfassenden Zugriff die objektiven Verhältnisse, deren er allein um den Preis einer abstrakten Konstruktion habhaft werden kann, sowie die Erfahrung erschließen könnte, in der diese Verhältnisse wurzeln und ihre Bedeutung gewinnen.

Der subjektivistische Intuitionismus, der den Sinn in der Unmittelbarkeit des Erlebten zu finden hofft, verdiente nicht einen Augenblick Gehör, diente er nicht dem Objektivismus als Alibi, einem Konzept, das sich damit begnügt, regelhafte Beziehungen festzustellen und deren statistische Signifikanz zu überprüfen, ohne deren Bedeutung zu entziffern, und das ein abstrakter und formaler Nominalismus bleibt, solange ihm das unerläßliche Moment der Objektivierung als unüberschreitbare Schranke gilt. Sollten der Umweg über die Feststellung statistischer Regelmäßigkeiten und die Formalisierung wirklich der Preis sein, den man für den Bruch mit der naiven Vertrautheit und den Illusionen des unmittelbaren Erlebnisses zu entrichten hat, so hieße das, das anthropologische Projekt zu leugnen, d. h. den Versuch aufzugeben, die verdinglichten Bedeutungen zurückzuerobern anstatt die kaum wiedergewonnenen Bedeutungen in der Abstraktion zu verdinglichen.

Die Soziologie hat die Überwindung der fiktiven Opposition, wie Subjektivisten und Objektivisten sie willkürlich entstehen lassen, zu ihrer Voraussetzung. Soziologie als objektive Wissenschaft ist deshalb möglich, weil es äußere, notwendige und vom individuellen Willen unabhängige Beziehungen gibt, die, wenn man so will, unbewußt sind (in dem Sinne, daß sie sich nicht der einfachen Reflexion erschließen) und sich nur über objektive Beobachtung und Experiment dingfest machen lassen – anders ausgedrückt, weil die Subjekte nicht über die ganze Bedeutung ihres Verhaltens als unmittelbares Datum des Bewußtseins verfugen, und weil ihr Verhalten stets mehr an Sinn umfaßt, als sie wissen und wollen; weil die Soziologie keine rein reflexive Wissenschaft sein kann, die einzig durch Rückgriff auf die subjektive Erfahrung zur absoluten Gewißheit gelangt, und weil sie zugleich eine objektive Wissenschaft des Objektiven (und des Subjektiven), d.h. eine exp