: Stefan Breuer
: Moderner Fundamentalismus
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863935566
: 1
: CHF 9.00
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: Philosophie, Religion
: German
: 236
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die moderne Welt kennt Fundamentalismus vor allem als eine Verbindung von Weltablehnung und Erlösungshoffnung im Zeichen der Religion. Es gibt aber auch einen Fundamentalismus, der dann entsteht, wenn die Religion nicht mehr vorherrschende Deutungsmacht ist, das Erlösungsbedürfnis aber weiterwirkt. Anstelle der Weltablehnung tritt dann Zeitablehnung, und die Erlösung wird Sache innerweltlicher Mächte: der Kunst, der Moral, der Erotik. Stefan Breuer geht dieser Transformation des religiösen Fundamentalismus in einen ästhetischen, moralischen und erotischen Fundamentalismus an verschiedenen Beispielen nach, beginnend mit Rousseau und dem radikalen Flügel der Französischen Revolution über Schopenhauer, Richard Wagner und den George-Kreis bis hin zu Ludwig Klages, Otto Gross und Herbert Marcuse.

Stefan Breuer, geb. 1948, seit 1984/85 Professor für Politikwissenschaft im Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hamburg, anschließend Professor für Soziologie, zunächst an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP), ab 2005 der Universität Hamburg. Seit 2014 emeritiert. Seine Forschungsschwerpunkte sind u. a. Max Weber, die politische Rechte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die (prä)historischen Ursprünge von Herrschaft und Staatlichkeit. Zahlreiche Veröffentlichungen.

1. Rousseau und die Folgen


Nach einer einflußreichen neueren Deutung muß der moderne Fundamentalismus als Ergebnis einer Verschmelzung heterodoxer religiöser Traditionen mit dem Jakobinismus angesehen werden, dessen Kern im „Glauben in den Primat der Politik und die Fähigkeit der Politik, Gesellschaft zu rekonstituieren“, bestehe (Eisenstadt 1998, 67). Das ist eine bestreitbare These. Das Wesensmerkmal des Jakobinismus – der Glaube an die Allmacht der Politik – ist kein Wesensmerkmal des Fundamentalismus, nicht des modernen, der sich an Moral, Kunst oder Erotik orientiert, nicht des religiösen, von dem zu Recht gesagt wird: „Der politische Aktivismus ist oftmals nur ein vorübergehender Zug, den fundamentalistische Bewegungen unter gewissen Zeitumständen annehmen, aber auch wieder ablegen können“ (Riesebrodt 2000, 55). Umgekehrt ist das gemeinsame Merkmal aller Fundamentalismen – die Welt- bzw. Zeitablehnung – kein Wesensmerkmal des Jakobinismus. In dem Katalog der Präferenzen, die man ihm zugeschrieben hat – von der Unteilbarkeit der nationalen Souveränität über die Zentralisierung von Staat und Gesellschaft bis zur Idee der Erneuerung des Menschen durch die republikanische Schule (Furet/Ozouf 1996, 1171) –, sucht man vergeblich danach, und dies nicht von ungefähr. Robespierre, der wie kein anderer den Geist des Jakobinismus repräsentiert, ist tief durchdrungen vom Glauben an den Fortschritt der Menschheit, nicht nur auf physischem, sondern auch auf moralischem Gebiet. Die Jakobiner mögen an die Allmacht der Politik, an das Charisma der Vernunft und an die Verwirklichung der Tugend geglaubt haben; Fundamentalisten waren sie deshalb noch lange nicht.

Damit ist jedoch nicht gesagt, daß der Fundamentalismus keine Rolle in