: Deborah Hertz
: Die jüdischen Salons im alten Berlin
: CEP Europäische Verlagsanstalt
: 9783863935085
: 1
: CHF 13.50
:
: Kulturgeschichte
: German
: 349
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In der von eiserner Staatsraison und beinahe militärischer Staatsdisziplin geprägten preußischen Geschichte hat Deborah Hertz das deutsch-jüdische Salonleben als eine einzigartige kulturelle Ausnahmesituation wiederentdeckt. Die von intellektuellen Jüdinnen wie Rahel Varnhagen und Henriette Herz organisierten Salons besaßen alle Anlagen dazu, der deutschen Geschichte eine andere Richtung zu verleihen: Für einen vorübergehend geglückten historischen Augenblick fanden hier jüdische und weibliche, geistige und bürgerliche Emanzipationsbestrebungen zusammen.

Deborah Hertz promivierte in deutscher Geschichte. Zahlreiche Veröffentlichungen. Sie ist Professorin für Geschichte und Jewish Studies in San Diego an der University of California.

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Gesellschaftsstruktur


Rahel Levin

Preußische Widersprüche


Berlinbesucher, die vor zwei Jahrhunderten ihre Reiseeindrücke publik machten, schildern die städtische Szenerie meist in enthusiastischen Farben. Die Fremden waren besonders beeindruckt von den stattlichen Palais, dem neuen Opernhaus und den geschmackvoll gekleideten Spaziergängern auf der großzügig angelegten Allee Unter den Linden oder im Tiergarten. Ihre Beobachtungen galten ihnen als hinreichende Beweise für das Wohlergehen der ganzen Stadt. Viele ihrer in Berlin lebenden Zeitgenossen stimmten mit ein in die Lobeshymnen, und Lokalberichterstatter, die sich mehr mit den sozialen Beziehungen als mit der äußeren Gestalt der Stadt beschäftigten, entwarfen ein Bild gesellschaftlicher Harmonie, demzufolge dem Adel gemeinhin mit unterwürfiger „Hochachtung und Liebe“ begegnet wurde und Adlige und Bürgerliche denselben Vergnügungen nachgingen. Von den Wohlhabenden heißt es, daß sie ihre Garderobe weniger als anderswo zur Schau stellten, und selbst wenn die Existenz einer „Classe reicher Müßiggänger“ eingeräumt wurde, so betonte man doch sogleich, daß deren Zahl eher „unbedeutend“ gewesen sei. Besonders überschwänglich wurde die angebliche soziale Gleichheit gelobt; das Gesellschaftsleben habe buchstäblich jedem, gleich welchen Standes, offengestanden. Und in Abgrenzung von den deutschen Handelsstädten heißt es: „Berlin unterscheidet sich auch von den Städten, wo nur der Gelehrte, der Künstler, der betitelte ... Mann gesucht, alle andern hingegegen vergessen, vernachlässigt oder herabgesetzt werden. Man weiß von keinem Vorzuge als von dem, welchen Tugend, Rechtschaffenheit und große und erhabene Einsichten gewähren. Des tugendhaften und rechtschaffenden Mannes Gesellschaft wird gesucht, er mag Jude oder Christ, Rat, Doktor, reich oder arm sein.“

Aber nicht alle Beobachter gaben sich damit zufrieden, daß die Stadt einen äußerlich guten Eindruck machte und das gesellschaftliche Leben oberflächlich intakt schien. Lakonisch urteilte ein Besucher: „Wo man hinblickt, ist Armuth und Noth, aber mit einem glänzenden Firniß überzogen.“ Und Georg Forster fand nach seinem Besuch 1779 bittere Worte: „Ich hatte mich in meinen mitgebrachten Begriffen von dieser großen Stadt sehr geirrt. Ich fand das Äußerliche viel schöner, das Innerliche viel schwärzer, als ich mir gedacht hatte. Berlin ist gewiß eine der schönsten Städte in Europa. Aber die Einwohner!“ Gutaussehende Häuser waren bei näherer Betrachtung oft heillos überfüllt, die breiten Straßen vor den imposanten Palais waren nachts schlecht beleuchtet und vor allem im Frühjahr mit Schlamm bedeckt, und kein schöner Anblick bot sich dem, der sich in die neuen Vorstädte begab, die zusammen mit Kasernen und Militärbaracken außerhalb der Stadtmauern aus dem Boden gestampft worden waren.

Daß sich die Verhaltensweisen der Menschen über Standesgrenzen hinweg