: Ellen Hertz, Yvan Schulz
: Unternehmen und Menschenrechte. Die Grenzen des guten Willens
: Seismo Verlag
: 9783037777510
: 1
: CHF 14.40
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: Soziologie
: German
: 110
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Im November 2020 wird in der Schweiz u?ber die Volksinitiative «Fu?r verantwortungsvolle Unternehmen - zum Schutz von Mensch und Umwelt» abgestimmt. Die Autor*innen analysieren aus sozialwissenschaftlicher Sicht die institutionellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, denen multinationale Konzerne unterworfen sind, und fokussieren dabei auf die Corporate Social Responsibility (CSR). Trotz jahrzehntelanger Bemu?hungen ist es den Unternehmen nicht gelungen, schwerwiegende Menschen- und Umweltrechtsverletzungen einzudämmen. Offensichtlich stösst der gute Wille der Unternehmen an systemische Grenzen, die aus den widerspru?chlichen Zwängen, denen sie ausgesetzt sind, entstehen. Das Buch kommt zum Schluss, dass die CSR durch die Gesetzgebung gestärkt, und einer Kontrolle von Seiten der Zivilgesellschaft u?bergeben werden muss, um wirksam zu sein. Die Suche nach dem richtigen Verhältnis aus freiwilligen und verbindlichen Normen ist keine rein technokratische Angelegenheit. Sie erfordert gesellschaftliche Entscheidungen u?ber die Art und Weise, wie die Schweiz ihren Platz in der Weltwirtschaft aufrechterhalten und gleichzeitig ihrer Tradition der Achtung der Menschen- und Umweltrechte gerecht werden kann.

Einleitung


Im November 2020 wird die Schweizer Stimmbevölkerung über die eidgenössische Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» («Konzernverantwortungsinitiative» oder KVI) abstimmen. Vor der Abstimmung werden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Briefe in ihren Briefkästen vorfinden, in denen das Initiativkomitee sie um ihre Unterstützung bittet. Diese Schreiben enthalten bewegende Bilder und Berichte über Umweltkatastrophen und schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen von Arbeitenden und Kindern in aller Welt, die durch multinationale Unternehmen mit Sitz in der Schweiz verursacht wurden. Nach Angaben des Initiativkomitees verfolgt die überwiegende Mehrheit der Unternehmen respektvolle Geschäftspraktiken, aber es gibt auch einige, «deren Geschäftsmodelle offensichtlich auf Verantwortungslosigkeit basieren» (VKVI 2020b). Das Komitee fordert, dass diese schwarzen Schafe, die alle multinationalen Unternehmen in Verruf bringen, «Rechenschaft ablegen» müssen.

Die Neugierigen und Unentschlossenen werden sich sicherlich die Webseiten der multinationalen Unternehmen anschauen, die vom Komitee namentlich beschuldigt werden. Sie werden dort ganz andere Bilder sehen und eine völlig andere Geschichte lesen. So verpflichtet sich zum Beispiel Glencore – der von der KVI-Kampagne wohl am häufigsten ins Visier genommene Konzern –, die eigenen Auswirkungen auf die Umwelt an all seinen Standorten zu minimieren, die Menschenrechte zu respektieren und die langfristige Entwicklung lokaler Gemeinschaften zu unterstützen (Glencore 2020a). LafargeHolcim, ein weiteres multinationales Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, das von der KVI-Kampagne an den Pranger gestellt wird, behauptet, dass es als «verantwortungsvolles Unternehmen» die Achtung der Menschenrechte sowie nachhaltige Lieferketten «ins Zentrum [seines] Geschäftsmodells» setzt (LafargeHolcim 2020, Übersetzung der Autorinnen [Ü.d.A.]).

Wie lassen sich diese gegensätzlichen Darstellungen vereinbaren? Warum müssen Unternehmen, die Unrecht tun und gegen Gesetze verstossen, nicht schon heute Verantwortung für den Schaden übernehmen, den sie anderen zufügen? Warum setzen sie sich überhaupt für die Förderung der Menschenrechte oder die langfristige Entwicklung «lokaler Gemeinschaften» ein? Sollten sie sich im ursprünglichen und im übertragenen Sinn nicht einfach um ihre eigenen Geschäfte kümmern? Und was genau ist mit «Rechenschaft ablegen» gemeint: Wie? In welchem Umfang? Gegenüber wem? Und schliesslich, weshalb fordert die grösste Koalition von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in der Schweizer Geschichte die Stimmbevölkerung dazu auf, sich dafür auszusprechen, dass multinationale Unternehmen staatlich verpflichtet werden, im Ausland verantwortungsvoll zu handeln?

Zielsetzungen und Methode


Das vorliegende Buch will diese Fragen beantworten und damit einen Beitrag zur öffentlichen Debatte rund um die KVI leisten. Es stellt die Diskussion zum Thema Konzernverantwortung in den Kontext internationaler Überlegungen zur Frage eines passenden Governance-Modells für multinationale Unternehmen. Die Einseitigkeit der in der KVI-Kampagne verwendeten Bilder trägt zu einer Polarisierung der Meinungen bei – letztlich wird es darum gehen, «Ja» oder «Nein» zu stimmen. Die wirtschaftliche, rechtliche und politische Realität ist jedoch komplex. Sie ist in einer problematischen Vergangenheit verankert und umfasst industrielle Praktiken, Geschäftsvereinbarungen und normative Rahmenbedingungen, die die meisten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger weder gut kennen noch vollends verstehen. Mit unserem Buc