DER ZWANGLOSE ZWANG
Wer sich der fragwürdigen Gnade der späten Geburt erfreuen durfte – zum Beispiel ich, fünf Jahre nach Ende des letzten Weltkriegs in Österreich geboren und fernerhin dort aufgewachsen –, der wurde mit zwei menschlichen Panzerungen konfrontiert. Die eine Panzerung trug den Namen der „Ideologie“ oder „Weltanschauung“. Die zweite war das Schweigen darüber, was gewesen war.
Auch ich wurde mit diesen Panzerungen konfrontiert, sobald ich einigermaßen imstande war, die politischen Dinge um mich herum als solche zu begreifen. Man hatte eine Weltanschauung oder gar keine, war „neutral“. In jedem Fall blieb einem erspart, mit dem weltanschaulichen Gegner in ein ernsthaftes Gespräch einzutreten. Denn die eigenen Werte, ob sozialistisch, christlich, bürgerlich, nationalistisch oder marktliberal, nicht zuletzt die Desinvolture waren sakrosankt, und zwar schon deshalb, weil sie eingelagert waren in die mächtigen Institutionen, die das Land beherrschten – selbstverständlich nun, nach dem Krieg, unter demokratischem Vorzeichen.
Es gibt sie, dienicht diskursive Demokratie, in ihr bin ich groß geworden. Ihr Stil bestand darin, dass man sich auf Kompromisse einigte, die Sozialpartnerschaft pflegte, einigermaßen tolerant gegeneinander, man hatte ja noch gut die Verheerungen des Freund-Feind-Denkens der Vorkriegszeit in Erinnerung.
Also: Nie wieder?
Aber: Was dann?
Man hielt an