Die Wellen scheinen mit jedem Mal noch wütender gegen das Schiff zu brechen. Der Himmel schimmert in immer tieferen Schattierungen unheilvollen Dunkelgraus, scharfer Wind peitscht mir die Gischt ins Gesicht.
Es ist bitterkalt. Das Wetter auf dem Nordatlantik ist im Februar kein Zuckerschlecken.
Ich bin die Einzige, die noch an der Reling steht, alle anderen haben sich schon längst ins warme Innere der Fähre zurückgezogen. Mit beiden Händen halte ich mich an der Brüstung fest. Meine langen Haare wehen im Wind, meine Augen habe ich gen Westen gerichtet, auf mein Ziel hin, das morgen in Sicht kommen wird: Island!
Die raue See kann mir nichts anhaben, ich stehe da, atme die frische Meeresluft ein, merke, wie sich meine Lungen vollsaugen, und freue mich auf das Abenteuer: Ich will ein neues Leben in Island beginnen und stelle mir vor, wie ich dort als Tierärztin arbeiten, lange Reittouren durch isländische Landschaften unternehmen, das Leben im hohen Norden genießen werde.
Ein Mitglied der Mannschaft kommt auf mich zu und unterbricht meinen Tagtraum: »Bitte gehen Sie jetzt in Ihre Kabine. Der Sturm wird noch stärker werden!«
Die ersten Tage auf unserer mehrtägigen Überfahrt mit kurzem Aufenthalt auf den Färöer-Inseln waren noch recht ruhig verlaufen. Seit heute Mittag aber frischt der Wind immer mehr auf, und unsere Autofähre schaukelt auf den Ozeanwellen eher wie eine Nussschale, als dass sie zielstrebig über das Wasser gleitet.
Als ich die Karten für die Überfahrt buchte, hatte ich Glück, denn dies sollte die vorerst letzte Autofähre vor dem Sommer sein.
Die Kabine teile ich mit einer jungen deutschen Touristin. Der Raum ist schlicht gehalten, die Holzbetten sind schmal. Immerhin haben wir aber eine Kabine mit Fenster bekommen. Um diese Jahreszeit befinden sich außer ein paar Lastwagenfahrern kaum Passagiere an Bord.
Während ich mich aufs Bett lege, rennt meine Nachbarin zum ersten Mal auf die Toilette. Ich höre, wie sie sich übergibt, die Toilettenspülung betätigt und dann wieder zurückkommt. Seekrankheit! Zum Glück geht es mir noch gut.
Ich frage, ob ich helfen könne, und wir kommen zaghaft miteinander ins Gespräch. Tina möchte zwei Wochen in Island bleiben und eine Rundreise machen.
»Ich wandere nach Island aus …«, erzähle ich meiner überraschten Zuhörerin.
»Und du lässt einfach alles und jeden zurück?«, fragt sie ganz erstaunt.
Eine Welle peitscht mit aller Wucht gegen unser Fenster. Tina rennt wieder auf die Toilette, und so habe ich etwas Zeit, um über ihre Frage nachzudenken.
Island! Von der Idee bis zur Tat war es tatsächlich ein großer Schritt. Ich musste so manche schmerzhafte Entscheidung treffen.
Nachdem sie wieder auf ihrem Bett sitzt, erzähle ich ihr, dass ich mich vor der Überfahrt von meinem isländischen Freund in Deutschland getrennt und unseren gemeinsamen kleinen Pferdehof mit der bescheidenen Islandpferdezucht, meine eigenen Pferde und meinen Hund schweren Herzens zurückgelassen habe.
»Mein Leben, wie es bisher war, ist Geschichte. Aber es war schon als Kind mein Traum, nach Island zu ziehen und dort mit Pferden zu arbeiten. Und dieser Wunsch ist dann einfach mit jedem Lebensjahr immer stärker geworden, trotz aller Bindungen, Chancen, Familie und Freunden in Deutschland.«
Das Schiff ächzt immer schwerer, die Maschinen laufen auf Hochtouren, um den Wellen Paroli zu bieten. Der Kapitän gibt über Lautsprecher durch, dass wir bald mit Windstärke zwölf zu rechnen hätten und deshalb die Kabinen nicht mehr verlassen dürften.
»Für ein halbes Jahr probiere ich es nun aus«, erzähle ich weiter, »denn für diese Zeit habe ich eine Stelle gefunden.«
Ich berichte ihr, wie ich vor einigen Monaten bei einem Reitturnier für Islandpferde meinen alten Studienfreund Björgvin wiedergetro