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«Abwechselnd über der Zeitung und dem Neuen Testament brütend». Themen und Probleme in Barths «Vorträgen und kleineren Arbeiten 1914–1921»
Hans-Anton Drewes
Die Dramaturgie des Symposiums, in dem der nachstehende Beitrag seinen Sitz im Leben hatte, hatte für das erste Referat eine Einführung in Barths «Vorträge und kleinere Arbeiten 1914–1921» vorgesehen, denen die Konferenz insgesamt gewidmet war.12
Wenn wir uns zum Vergleich an den Studienbetrieb der Hohen Schulen des Mittelalters erinnern, die doch ein bleibendes Modell deruniversitas magistrorum et scholarium darstellen, wäre meine Aufgabe also die desbaccalaureus, der zu einerquaestio disputanda Fragen und Antworten, traditionelle und womöglich auch neue, zusammenzutragen und zu ordnen und das Für und Wider dieser oder jener Problemlösung zu besprechen hatte, um so diedeterminatio magistralis vorzubereiten.|26|
I.
Gewiss wird es heute mehrere solchedeterminationes magistrales geben. In jedem Fall hat die vorbereitende Sammlung von Perspektiven und Aspekten jetzt mit der Formulierung der Disputationsfrage zu beginnen, die in unserem Fall also wohl hiesse: «Utrum doctrina Barbae in tempore Safenviliensi sit doctrina dialectico-theologici socialismi.»13 Und die erste Angabe, der erste Schritt zur Beantwortung dieser Frage müsste traditionsgemäss lauten: «Videtur quod non», es scheint so, dass Barths Denk- und Lehrform in der Safenwiler Dekade nicht die Denkform eines dialektisch-theologischen Sozialismus gewesen sei.
Als einen ersten Beleg für diesen Eindruck möchte ich, um gleich mitten in die Sache zu springen, den kurzen Text anführen, den Barth mit «Sozialismus und Kirche» überschrieben hat. Barth sagt hier einerseits, er sei «mehr Pfarrer als Sozialist», andererseits, er sei «auch Sozialist wenigstens». Die Stichworte, die Barth sich wohl für eine Aussprache im Safenwiler Arbeiterverein notiert hat, erläutern dieses «mehr» und dieses «auch wenigstens» so: Das «Unausgesprochene» im Sozialismus ist gerade das Wesen des Sozialismus, und deshalb ist hinter und über dem Parteiprogramm von der Bibel zu reden – von der Bibel, die aber in der kirchlichen Tradition entleert worden ist; deshalb ist im gleichen Vorgang ebenso umgekehrt von der Bibel, von der Theologie her auf den Sozialismus Bezug zu nehmen, um die einseitig geistige, die einseitig moralische, die insgesamt zu wenig radikale Auffassung und Wahrnehmung der Bibel zu korrigieren.
Friedrich-Wilhelm Marquardt, dessen ich auch an dieser Stelle mit aufrichtigem Dank gedenken möchte, hat diese Notizen in den Zusammenhang der thematisch ähnlichen Vorträge über «Religion und Sozialismus», «Krieg, Sozialismus und Christentum» und über «Christus und die Sozialdemokraten» gestellt und entsprechend in die Jahre 1915/1916 eingeordnet. Das ist gewiss sehr erwägenswert. Trotzdem stellt sich hier eine Frage: Denn zum einen ist das Schriftbild z. B. der Ausführungen über «Krieg, Sozialismus und Christentum» vom 14. Februar 1915 doch deutlich anders als das der Notizen über «Sozialismus und Kirche».14 Zum andern aber und vor allem: Die Stichworte über «Sozialismus und Kirche» sind auf der Rückseite eines Textentwurfs notiert, dessen Schrift ebenso wenig oder noch weniger|27| der von 1915/1916 gl