Bernd Deininger
Die Wurzel von Schuld und Angst · Genesis 3,1–24
Im 3. Kapitel des Buches Genesis wird die grundsätzliche Frage beantwortet, was den Menschen aus dem Paradies treibt. Das Paradies steht hier für Glückseligkeit, ewiges Leben, Konfliktlosigkeit, ewige Liebe, das Spüren der Nähe Gottes. Die Bibel tut dies verdichtet in einem Ursprungsmythos, damit sich in unserem inneren Erleben ein Bild darstellt, in dem sich jeder Mensch wiederfinden kann.
Die Geschichte handelt nicht von einem historischen Menschenpaar, das uns als Adam und Eva bekannt ist, sondern die Intention des Autors ist, dass wir darin die Geschichte eines jeden einzelnen Menschen wiedererkennen können, also auch unsere eigene. Um diese mythische Geschichte zu verstehen, ist es hilfreich, aus der Erzählung symbolhaft Einzelnes herauszugreifen.
Beginnen wir mit der Schlange. Es handelt sich hier um ein mythisches Tier, ein Symbol. Und was sie zu sagen hat, lässt sich ganz unmittelbar in unserem eigenen Inneren abbilden. Aus der Erzählung selbst wissen wir noch nicht, was es mit der Schlange auf sich hat. Wir erfahren lediglich, dass sie zur Schöpfung Gottes gehört. Es gibt Mythen, in denen die Schlange als ein Symbol des Bösen betrachtet wird. Wenn sie jedoch zur Schöpfung Gottes gehört, ist das mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, geht der Leser der Bibel doch davon aus, dass Gott von sich aus nichts Böses erschafft. Diese Erkenntnis ist von großer Bedeutung für alles, was im Folgenden weiter zu betrachten ist.
Wenn wir uns die Geschichte der Bibel vor Augen halten, dann scheint es so, als ob von dieser Schlange alles Unglück und Unheil auf den Menschen herabkommen würden. Der Mythos versichert uns aber auch: Selbst wenn das Konflikthafte den Menschen hinabzieht in den inneren Widerspruch zu sich selbst, zur Welt und zum Schöpfer, darf nie aus dem Blick geraten, dass die Macht, durch die es geschieht, nicht aus dem Bereich der Schöpfung Gottes herausfällt. Unter diesem Blickwinkel kann das Böse, das der Schlange zugeschrieben wird, nicht so angenommen werden. Das Einzige, was der Text uns auf die Schlange bezogen deutlich sagt, ist ein Eigenschaftswort: listig war sie, listiger als alles, was Gott sonst auf Erden geschaffen hatte. Dieses kleine Eigenschaftswort ist in der Tat sehr wichtig, damit wir zu einem tieferen Verständnis über die Schlange kommen können. Denn wenn diese Aussage stimmt, dann liegt der Ursprung des sogenannten Bösen in einer Selbstüberlistung, die dem Handelnden so aber vielleicht nicht bewusst ist. Das würde bedeuten, dass endgültig Abschied genommen werden muss von jeder Art des Redens über das Böse im Menschen. Wenn wir das Ganze rein moralisch betrachten, kann man sagen: Die Menschen sind böse, weil sie böse sein wollen. Die Folge ist, dass es in unterschiedlicher Weise Schutzmaßnahmen geben muss, die den Willen des Menschen zum Guten anhalten. Das würde aber bedeuten, dass die Welt klar getrennt ist in richtig und falsch sowie gut und böse.
Die Erzählung in Genesis 3 weist uns aber immer wieder darauf hin und beschwört uns geradezu, so nicht zu denken. Es gibt viele Menschen, die in das, was wir mit »böse« bezeichnen, hineingezogen werden, und das, was sie getan haben, oft überhaupt nicht tun wollten. Bei der Aufarbeitung des Genozids in Ruanda an den Tutsi wurde darüber oft in den Versöhnungsdörfern, die 20 Jahre danach gegründet wurden, gesprochen. Viele Hutus, die zu Tätern wurden und nun in Gruppen den Opfern gegenübersaßen, sagten: »Das, was