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Brasch sah sie lächeln. Sie saß ihm schräg gegenüber an einem schmalen Tisch und schaute ihn über ein Buch hinweg an. Er wusste zuerst nicht, ob das Lächelm ihm galt oder ob sie sich über etwas in ihrem Buch amüsiert hatte, doch dann traf ihn ihr Blick, und er verstand, dass sie ihn meinte. Hatte sie ihn schon lange beobachtet, wie er unruhig wartend dasaß? Sie war blond, ihr Haar war so modisch geschnitten, dass ihr immer zwei lange Strähnen ins Gesicht fielen, die sie dann mit einer anmutigen Handbewegung zurückschob. Besonders auffällig waren ihre Augen. Sie waren hellblau, wie das Meer bei strahlendem Sonnenschein oder wie zwei kostbare Diamanten. Vielleicht aber trug sie auch teure Kontaktlinsen. So ein Blau gab es eigentlich gar nicht wirklich, jedenfalls nicht im Gesicht einer Frau.
Außer ihm war sie der einzige Gast im Restaurant, der allein an seinem Tisch saß, aber sie schien sich nicht unwohl zu fühlen, tat auch nicht so, als würde sie auf jemanden warten, wie er es schon oft bei Frauen beobachtet hatte, die allein in einem Lokal oder in einem Kino saßen und denen ihre Einsamkeit so peinlich war, dass sie in jeder Sekunde glaubten, sie verbergen zu müssen.
Als ihn ihr klarer, blauer Blick erneut traf, lächelte Brasch zurück. Er spürte selbst, wie unsicher und zaghaft sein Lächeln wirken musste. Wollte die Frau mit ihm flirten? Wollte sie, dass er seinen Cappuccino nahm und sich zu einer charmanten Plauderei an ihren Tisch setzte? Sie legte ihr Buch beiseite und rührte nachdenklich in ihrem Kaffee. Vor ihr lagen eine Schachtel Zigaretten und ein größerer Notizblock, auf dem sie aber noch nichts notiert hatte.
Brasch schaute auf die Uhr. Es war zwanzig vor acht. Die meisten Tische waren schon besetzt. Für seinen Geschmack war das Restaurant ein wenig zu vornehm und gediegen. Vielleicht hatte Leonie das »Lorenzo« ausgesucht, weil sie hier noch nie gewesen waren. Seit acht Wochen hatte er sie nicht gesehen. Brasch wollte noch immer, dass sie zu ihm zurückkehrte, dass alles so wurde wie früher, aber insgeheim wusste er auch, dass dieser dumpfe Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde. Zwei unglückliche Telefonate hatten sie geführt; Leonie war einsilbig gewesen und hatte seine Fragen nach dem, was sie machte, wie sie sich fühlte, nur äußerst unwillig beantwortet. Sie tat nicht viel, war immer noch damit beschäftigt, ihr neues Haus einzurichten, und genoss die Sommerferien, die vor einer Woche begonnen hatten. »Niemand macht mir Vorschriften«, hatte sie am Telefon erklärt, beinahe vorwurfsvoll, als hätte er ihr immer gesagt, was sie tun sollte. Erst von Hedwig, Leonies Schwester, hatte er erfahren, dass sie sich einen Hund angeschafft hatte. Vielleicht war sie einsam und fürchtete sich nachts allein.
Manchmal, aus heiterem Himmel, wenn er morgens allein Kaffee trank oder im Wagen saß, spürte er, dass er noch immer wütend auf sie war; sein Zorn war nicht verflogen, trotz vieler Worte nicht. Warum saß sie in ihrem neuen Haus und er in ihrem alten, das er sich bald nicht mehr würde leisten können?
Die Frau vom Nebentisch schaute ihn wieder an und lächelte. Diesmal lag eine eindeutige Aufforderung in ihrem Lächeln. Als sein Handy klingelte, war Brasch sicher, dass Leonie am Apparat sein würde. Sie kam wieder zu spät und würde ihm ei