: Eliot Weinberger
: Beatrice Faßbender
: Neulich in Amerika
: Berenberg Verlag GmbH
: 9783946334743
: 5
: CHF 12.50
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 284
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eliot Weinberger ist nicht nur einer der origi­nellsten Essayisten, er ist auch einer der schärfsten politischen Kommentatoren der USA. In seinen Texten über die Politik unter den Regierungen Bush und Trump lässt er Fakten sprechen: Nachrichtendetails, Aus­sagen von Politikern, die den Wahnsinn, der in den USA zum Alltag geworden ist, in all seinen bizarren Auswüchsen präsentieren. Nichts fehlt: der Irakkrieg, fromm homophobe und rassistische Republikaner, Konzentrations­lager für geflüchtete Kinder, nicht zu vergessen Donald Trumps Empfehlungen zum Umgang mit einem Virus. Weinbergers Chroniken aus dem republikanischen Amerika sind erschütternde Bilder einer verstörten Gesellschaft. 'Einer der spannendsten und unabhängigsten amerikanischen Intellektuellen.' Sieglinde Geisel, NZZ am Sonntag 'Eliot Weinberger ist ein begnadeter ­Essayist.' Michael Schmitt, Deutschlandfunk

Eliot Weinberger, geboren 1949 in New York, ist Essayist, Herausgeber, politischer Kommentator und Übersetzer der Werke von Octavio Paz, Vicente Huidobro, Bei Dao und anderen. Bei Berenberg erschienen u.?a. die Essaysammlungen Das Wesentliche (2008) und Vogelgeister (2017) sowie der Band Neunzehn Arten Wang Wei zu betrachten (2019).

Wo ist der Westen?


[Statement für eine Podiumsdiskussion im Rahmen des Symposiums »Im Westen was Neues – Europa zwischen Postatlantismus und Postkommunismus« an der Volksbühne in Berlin (13./14. Mai 2003).]

Das Einzige, was über den Westen feststeht, ist, dass es nicht der Osten ist. Im Englischen aber – wie es im Deutschen ist, weiß ich nicht – ist es schwer zu sagen, wo der Osten liegt. Betrachtet man akademische Disziplinen, stellt man fest, dass das alte Mesopotamien im Nahen Osten liegt, der Irak aber im Mittleren Osten: Je näher es uns zeitlich kommt, desto weiter weg rückt es geografisch. China und Japan liegen im Fernen Osten, Indien aber liegt – trotz seiner östlichen Religionen – überhaupt nicht im Osten, sondern in Südasien. Orientalismus lautet unser Begriff für westliche Vorstellungen und Missverständnisse den Osten betreffend, doch die beiden klassischen Studien dazu, von Edward Said und Raymond Schwab, beschäftigen sich mit dem Mittleren Osten beziehungsweise mit Indien, und die Schlussfolgerungen der einen sind nicht auf die andere übertragbar. Und natürlich erschuf zu unserer Zeit der Kalte Krieg einen neuen Osten, einen, in dem, aus westlicher Perspektive, kein Unterschied zwischen Ostdeutschen und Nordkoreanern bestand.

Das einzige, was über den Osten feststeht, ist, dass es nicht der Westen ist. Doch es ist schwer zu sagen, wo der Westen liegt. In vieler Hinsicht ist er sogar noch schwerer zu lokalisieren als der Osten. Man kann durchaus behaupten, dass es zweitausend Jahre lang – grob gesagt von 500 v. Chr. bis 1500 n. Chr. – ein griechisch-römisch-jüdisch-christlichislamisches Kontinuum gab, eine untereinander verbundene, sich gegenseitig nährende, wenn auch häufig untereinander Krieg führende Zivilisation, die weitgehend isoliert von den damaligen Reichen oder Großstaaten in Mittelamerika, den Anden, China, Indien und Subsahara-Afrika und vollkommen ander