1. KAPITEL
Clara Rossetti lief die steile Treppe zwischen den alten Häusern hinunter, die auf die Piazza Gaspare führte. Sie musste sich beeilen, wenn sie den letzten Bus noch erreichen wollte. Plötzlich rief eine tiefe, männliche Stimme hinter ihr: „Hallo,bella, weißt du, dass du eine bemerkenswert schöne Frau bist?“
Die verführerisch klingende Stimme kam ihr irgendwie bekannt vor. Sie nahm jedoch an, dass der Typ eine andere Frau meinte. Deshalb eilte sie weiter über den belebten Platz zur Bushaltestelle. Zu Hause würde sie sich ein leichtes Abendessen zubereiten und danach ins Bett gehen, denn sie war müde und erschöpft. Morgen würde sie sich wieder besser fühlen.
„Clarissima, du hast mich doch hoffentlich nicht vergessen!“
Vor Überraschung schrie sie leise auf. Natürlich kannte sie diese Stimme. War etwa Tino, der beste Freund, den sie in ihrer Kindheit gehabt hatte, nach neun Jahren zurückgekommen? Valentino Casali war der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der sie jemals Clarissima genannt hatte, eine Kombination aus Clara und Belissima. Sie hatte es eigentlich immer für einen Scherz gehalten, denn sie war als Kind und Teenager etwas rundlich gewesen, so wie alle Rossettis.
Sie drehte sich um und blickte in die dunkelbraunen Augen des attraktivsten Playboys ganz Italiens. Für sie war er jedoch der verlässlichste Partner in den schwierigen Jahren des Erwachsenwerdens gewesen. Mit achtzehn hatte er Monta Correnti verlassen und bei ihr eine Lücke hinterlassen, die kein anderer hatte füllen können.
Jetzt war er ein bekannter und berühmter Rennfahrer und Abenteurer, dessen Foto regelmäßig auf den Titelseiten der Regenbogenpresse erschien und der immer wieder Anlass gab zu Gerüchten in den Klatschspalten.
„Nein, natürlich nicht“, erwiderte sie schließlich heiser. Schon als Jugendlicher hatte er unglaublich gut ausgesehen. Außerdem hatten seine Intelligenz, sein Wagemut und seine Kühnheit bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen. „Hallo, Valentino! Wie geht es dir?“
Er stutzte sekundenlang, als hätte er eine andere Reaktion erwartet. „Besser, nachdem ich meine beste Freundin wiedergefunden habe.“
Zur Begrüßung küsste er sie auf beide Wangen und ließ dann den Blick bewundernd über ihr feines Gesicht und ihre schlanke Gestalt gleiten.
„Deine beste Freundin?“, wiederholte sie belustigt. „Was ist denn aus den vielen Postkarten und Geschenken geworden, die du mir von überallher schicken wolltest? Und besucht hast du mich auch kein einziges Mal in all den Jahren, obwohl du es mir hoch und heilig versprochen hattest. Behandelt man so seine beste Freundin?“, fragte sie scherzhaft.
Er zuckte die breiten Schultern und lenkte dadurch ihren Blick auf sein teuer aussehendes helles Freizeithemd mit dem geöffneten Kragen und die perfekt sitzenden Designerjeans. Mit dem Zeigefinger fuhr er ihr über die Lippen, eine Geste, die völlig natürlich wirkte. Dennoch war Clara leicht schockiert, denn so hatte er sie damals nie berührt.
„Ich wollte dir schreiben, das musst du mir glauben“, flüsterte er. Seinem Charme und seiner sinnlichen Ausstrahlung konnte sich wahrscheinlich kaum eine Frau entziehen.
Clara lächelte, während sie versuchte, sich ihre Reaktion auf seine Berührung nicht anmerken zu lassen. „Mit deinen guten Absichten kann man wahrscheinlich mittlerweile ganze Straßen pflastern“, neckte sie ihn. Sie kannten sich viel zu gut und zu lange, um einander etwas vorzumachen. Außerdem hatte sie ihm nie böse sein können. Trotz seiner sorglosen Art war er immer ein guter und treuer Freund gewesen.
In der Schule waren sie und ihre jüngere Schwester Bianca von den anderen Kindern gehänselt worden. Valentino hatte sich jedoch nie daran beteiligt.
Da er hier geboren und aufgewachsen war, hatte er Monta Correnti weithin bekannt gemacht. Immer mehr Touristen besuchten den Ort, und einige Promis hatten sich sogar hier ein Haus gebaut. Er war jedoch der berühmteste Bürger des Ortes, auch wenn er jetzt in Monaco lebte, und er war der Schwarm aller jüngeren und älteren Frauen.
In den letzten neun Jahren hat er sich zu einem atemberaubend attraktiven Mann entwickelt, dachte sie, als er den Kopf leicht zur Seite neigte.
„Ist dir bewusst, dass du eine gewisse Ähnlichkeit mit Catherine Zeta-Jones hast, als sie noch jünger war?“
Clara vermutete, dass es ein großes Kompliment sein sollte. „Nein, das ist mir nicht bewusst. Kennst du sie persönlich?“
Er nickte. „Du bist noch viel schöner als sie.“ Sein Lächeln verschwand, und er musterte sie ungeniert von oben bis unten. „Was hast du mit deinem langen Haar gemacht?“
Damals hatte sie gehofft, mit dem langen Haar, das ihr fast bis zur Taille reichte, kaschieren zu können, dass sie nicht so schlank war wie andere Mädchen.
Überrascht, dass er es überhaupt bemerkte, und verblüfft über den Themenwechsel, antwortete sie: „Der April war außergewöhnlich heiß, außerdem brauchte ich eine andere Frisur.“ Ihr seidenweiches Haar, das eher s