Kapitel 1
»Herzlich willkommen im Kronos-Theater«, murmelte die dürre Blonde am Eingang.
Leise, unsicher, nervös. Hoffentlich hat sie keine Rolle heute Abend, dachte Schiller. Hoffentlich würden sie Tschechow nicht mit dieser hölzernen, flachbrüstigen Dame und ihrem dünnen Stimmchen verhunzen. Die Nina womöglich! Schulz wäre das zuzutrauen. Die Dame setzte einen hündischen Blick auf und wartete auf eine Erwiderung, zu der er sich nicht herabließ. Dann riss sie linkisch eine der kleinen, gelben Eintrittskarten vom Block und hielt sie ihm hin. Er schüttelte nur mit dem Kopf und machte eine abwehrende Handbewegung.
»Es geht wohl auch so«, sagte er.
Seine Reaktion schien sie ein wenig aus dem Konzept zu bringen. Er sah, wie es in ihr arbeitete. Dabei hielt sie weiter tapfer die abgerissene Eintrittskarte vor ihm hoch wie eine Opfergabe. Sie wusste nicht wohin damit.
»Natürlich. Viel Spaß, Herr Schiller!«, flötete sie dann.
Sie freute sich wahrscheinlich, dass ihr das so schnell eingefallen war. Diese lockere, souveräne Erwiderung. Er nickte ihr nur kurz zu und betrat das Theater.
Der Eingang war so niedrig, dass man sich bücken musste. Wie oft er sich hier schon hatte bücken müssen. Überhaupt dieser Name: Kronos-Theater. Albern, ohne jeden Bezug zu Theater. Sollte wohl schick klingen. Gebildet. Avantgardistisch. Kronos, der jüngste Sohn der Gaia und des Uranus. Anführer der Titanen, der seinen Vater mit einer Sichel entmannte und zum Herrscher der Welt aufstieg. Der aus Angst um seine Macht die eigenen Kinder fraß. Alle, bis auf eines: Zeus. Den hatte Rhea in einer Höhle des Berges Aigaion auf Kreta versteckt und den Gatten mit einem in Windeln gewickelten Stein getäuscht. Kronos. Was hatte sich Schulz bei diesem Namen für sein Theater gedacht? Wahrscheinlich gar nichts. Von der griechischen Mythologie dürfte er genauso wenig Ahnung haben wie vom Inszenieren. Alles aufgesetzt. Eine pompöse, dumme Verzierung. Heiße Luft.
Wie die Leute glotzten, als er den Zuschauerraum betrat. Zu tuscheln begannen. Es roch nach Hund und nach Staub. Die Decke war so niedrig, dass man sie mit der Hand berühren konnte. Die Blicke der Leute waren feindselig. Er tat so, als würde er es nicht bemerken. Ging einfach mitten durch die glotzenden Gesichter hindurch zu einem freien Platz in der letzten Reihe. Manche traten hektisch zur Seite, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Er lächelte nur. Stoisch, vollkommen ruhig. Das Gesicht eine freundliche, unverbindliche Maske. Was für ein dummes Volk, dachte er.
Die Enge war eine Zumutung. Diese unangenehmen Berührungen. Ständig stieß man mit der Schulter an den Nebenmann. Nur eine Schulter, in seinem Fall. Weil er ganz außen saß. Die Schulter einer unangenehmen, dicken Frau.
»Schreiben Sie was Schönes, Herr Schiller«, raunte sie ihm plötzlich ins Ohr.
Der Schwall ihres süßlichen Parfüms hüllte ihn ein. Ihre Nachbarin kicherte. Er reagierte nicht darauf. Räusperte sich nur. Eine Unverschämtheit! Was bildet sich diese Person überhaupt ein?, dachte er. Ihr Geruch war ekelhaft. Parfüm, Haarspray, Nagellack, schlechter Atem. Einen schlechten Geschmack und Dummheit kann man riechen. Die Leute sind sich dessen nicht bewusst. Auch diesbezüglich hatte Maurice ihn überrascht. Ein guter Duft und nicht zu viel. Sehr teuer. Er hatte ihn nicht gefragt, was es für ein Parfüm war. Sie hatten sich schöneren Dingen gewidmet als der Unterhaltung. Aber er war sicher, dass Maurice sich dieses Parfüm nicht selbst gekauft hatte. Jemand hatte es für ihn ausgesucht. Es ihm geschenkt. Jemand, der Geschmack hatte. Der wusste, wie der Junge riechen musste. Es war ein wunderbarer Vormittag gewesen. Sehr entspannt, gelungen, perfekt. Natürlich wusste der Junge, was er wert war. Das wussten sie alle, dachte er. Danach hatte er ausgiebig geduscht, hatte sich gepflegt. Eine Kleinigkeit gegessen. Hatte geschrieben. Und dann war er mit dem Hund draußen gewesen. Alles hatte gepasst. Sogar die Sonne war in dieser halben Stunde herausgekommen. Schade, dass ein Tag, der so schön bego