1. KAPITEL
September 1970
Eleonore war sich der Wirkung ihrer Reize auf die Burschen wohlbewusst, besonders wenn sie ihren kirschroten Bikini trug und ihr von der Sommersonne aufgehelltes honigblondes Haar offen über die Schulter fiel. Fast ebenso sicher war sich die junge Frau der aufrichtigen Zuneigung von Bobbie, dem stattlichen Weinbauernzögling aus der Nachbarortschaft. Schon seit Wochen wollte er sie ausdauernd und unnachgiebig zu einem Rendezvous bewegen, wobei sie ihm die längste Zeit nur die kalte Schulter gezeigt hatte.
Schließlich hatte sie seinem ungestümen Drängen aber doch noch nachgegeben und den ganzen sonnigen Spätnachmittag mit ihm in einem kleinen Ruderboot am Neusiedler See verbracht. Ab und zu hatten sie sogar einen Sprung in das vom ausklingenden Altweibersommer angenehm erwärmte Wasser gewagt. Nun neigte sich der Tag jedoch dem Ende zu und im Westen verbargen die sanften grünen Hügel des Leithagebirges nach und nach die glühende Sonnenscheibe, die mit ihren letzten Strahlen die ruhige Seelandschaft noch in ein stimmungsvolles Abendrot tauchte, bevor endgültig die Nacht über den Tag hereinfallen würde.
Während das Boot auf der beinahe wellenlosen Wasseroberfläche dahin glitt, zogen ausgedehnte Formationen von halbtransparenten, rot leuchtenden Cirruswolken gemächlich über das Firmament, unter dem mit majestätisch anmutenden Flügelschlägen ein Grüppchen von Weißstörchen auf ihrem Weg in ihr afrikanisches Winterquartier über den dunklen See dahinzog.
Eleonore atmete den aromatischen Geruch des wilden Steppensees tief ein. Die Stille der romantischen Abendstimmung wurde bloß durch vereinzelte ferne Rufe eines Silberreiherpärchens unterbrochen. Dass laut dem Wetterbericht von heute Mittag schon in ein paar Stunden das Wetter umschlagen würde, erschien ihr bei dieser prächtigen Abendszenerie mehr als unwahrscheinlich, ja geradezu absurd. Freilich hatte es sich ihr strenger Vater aus diesem Anlass wieder einmal nicht nehmen lassen, sie vor dem See zu warnen, der launenhaft wie ein altes Weib sei und sein lächelndes Antlitz blitzschnell in eine hässliche Fratze wandeln könne.
Anstatt sich Gedanken über das bald aufziehende Unwetter zu machen, überlegte Eleonore nun, wie sie den Abend ausklingen lassen wollte. Denn bislang, ja bis heute Abend, war sie - trotz zahlloser Verehrer in den vergangenen Jahren - sittsam geblieben, ganz so, wie ihre Eltern es erwartet hatten. Freilich hatte sie auch gefürchtet, den Zorn ihres Vaters auf sich zu ziehen, wenn sie mit Burschen herummachte. Nur allzu gut war ihr die eine oder andere „gesunde Watsche" in Erinnerung, die sie für noch so kleine Unartigkeiten als Kind von ihm kassiert hatte. Diesen So