Die Admiralitätsnadel
SIE WERDEN VERZEIHEN, Gnädigste, aber ich bin ein ungehobelter Mensch und geradheraus und sage Ihnen daher ohne jede Umschweife: Geben Sie sich keinen falschen Hoffnungen hin, dies ist alles andere als ein Verehrerbrief. Es ist ganz im Gegenteil, wie Sie gleich feststellen werden, ein recht seltsames Epistelchen, das, wer weiß, nicht nur Ihnen, sondern auch anderen hemmungslos schriftstellernden Damen ein Denkzettel sein könnte. Zunächst jedoch eile ich, mich vorzustellen, damit meine äußere Erscheinung durchschimmere wie ein Wasserzeichen; das ist weit ehrlicher, als durch Schweigen jenen falschen Schlüssen Vorschub zu leisten, die das Auge unwillkürlich aus der Kalligraphie handgeschriebener Zeilen zieht. Nein, trotz meiner schlanken Schrift, trotz des jugendlichen Elans meiner Kommata bin ich dick und fortgeschrittenen Alters; allerdings ist diese Korpulenz nicht schlaff, sondern kernig, knackig, straff. Sie hat, Gnädigste, nicht das Geringste gemein mit den Umlegekragen des Poeten Apuchtin, dieses feisten Lieblings aller Damen. Doch genug davon. Diese wenigen Andeutungen werden Ihnen als Schriftstellerin genügen, um sich ein Bild von mir zu machen.Bonjour, Madame. Und nun zur Sache.
Vor kurzem nahm ich in einer russischen Leihbibliothek, die das analphabetische Schicksal in eine trübe Berliner Seitenstraße verbannt hat, drei oder vier Neuerwerbungen zur Hand, darunter auch Ihren RomanDie Admiralitätsnadel. Ein gefälliger Titel, und sei’s auch nur aus dem einzigen Grund, dass er, nicht wahr, im Russischen einen jambischen Tetrameter bildet – admiraltéjskaja iglá – und obendrein ein berühmter Vers Puschkins ist. Aber es war ebenjene Gefälligkeit des Titels, die nichts Gutes verhieß. Dazu bin ich gewöhnlich sehr auf der Hut vor Büchern, die in den Hinterwäldern unseres Exils, in Riga oder Reval, erscheinen. Gleichwohl nahm ich, wie ich schon sagte, Ihren Roman mit.
Ach, meine teure Dame, ach, «Herr» Serge Solnzew, wie leicht errät man doch, dass der Autorenname ein Pseudonym, dass der Autor kein Mann ist! Jeder Ihrer Sätze wird links geknöpft. Ihre Vorliebe für Ausdrücke wie «die Zeit verging» oder «frileusement in Mutters Schal gekuschelt», das unvermeidliche Auftreten eines episodischen Fähnrichs (geradewegs aus den Imitationen vonKrieg und Frieden), der das R wie ein G ausspricht, und schließlich Fußnoten mit der Übersetzung französischer Sprachklischees bieten ausreichende Hinweise auf Ihr literarisches Talent. Dies ist aber erst das halbe Ärgernis.
Stellen Sie sich Folgendes vor: Nehmen wir an, ich sei einmal durch eine wunderbare Landschaft gewandert, wo Wasserfälle tosten und Winden die Säulen einsamer Ruinen überwucherten, und es fiele mir nach Jahren im Hause eines Fremden eine Photographie in die Hände, auf der ich geckenhaft vor etwas posiere, das unverkennbar eine Pappmachéstele ist; im Hintergrund ist der weiße Schmierfleck eines hineingepfuschten Wasserfalls, und irgendjemand hat mir mit Tusche einen Schnurrbart verpasst. Wo stamm