: Steph Cha
: Brandsätze
: ars vivendi
: 9783747201633
: 1
: CHF 16,10
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: Spannung
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als die Polizei einen unbewaffneten schwarzen Teenager erschießt, brechen in Los Angeles Unruhen aus, die Erinnerungen an den Fall Rodney King wachrufen. Inmitten dieser aufgeheizten Atmosphäre müssen sich zwei Familien ihrer Vergangenheit stellen. Grace Park, 27, arbeitet in der familieneigenen Apotheke, ihre aus Korea eingewanderten Eltern haben ihr immer ein behütetes Leben geboten. Doch dann erfährt Grace, dass ihre Mutter vor dreißig Jahren Ava Matthews erschoss - sie hatte die junge Schwarze fälschlicherweise für eine Ladendiebin gehalten und kam vor Gericht mit einem sehr milden Urteil davon. Shawn Matthews, Avas Bruder, hat Politik und Protest inzwischen abgeschworen, doch die aktuellen Ereignisse brechen alte Wunden auf. Als ein weiteres schockierendes Verbrechen die Stadt erschüttert, wird Shawn mit der Frage konfrontiert, ob wirklich alle in seiner Familie ihre Dämonen im Griff haben ...

Steph Cha wurde 1986 im San Fernando Valley geboren und lebt heute als Schriftstellerin, Redakteurin und Kritikerin in Los Angeles.

 

FREITAG, 8. MÄRZ 1991

Okay, das war’s«, sagte Ava. »Keine Ahnung, wie wir die Idioten hier finden sollen.«

Shawn musterte die versammelte Menschenmenge auf der anderen Straßenseite mit großen Augen. Hunderte von Leuten warteten vor dem Kino, dabei fing der Film erst in eineinhalb Stunden an. Außerdem war es dunkel, und die Gesichter unter den Straßenlaternen waren kaum zu erkennen. Ava hatte gesagt, Westwood sei eine Weiße-Leute-Gegend, aber fast alle da drüben waren schwarz, viele noch Schüler. Um Ray und seine Freunde zu finden, mussten sie näher ran.

Ava nahm Shawn an der Hand, und sie überquerten die Straße. Schnell zog er die Hand weg, denn die älteren Kids sollten nicht sehen, dass er von seiner Schwester mitgeschleift wurde. »Mann, Ava, ich bin kein Baby«, sagte er.

»Wer hat behauptet, dass du ein Baby bist? Ich will dich einfach nicht verlieren.«

Sie gingen langsam die Schlange entlang, die sich vor der Kinokasse unter dem Vordach mit den Vorstellungszeiten vonNew Jack City gebildet hatte. Shawn lächelte. Er freute sich schon die ganze Woche auf den Film. Alle in der Schule redeten darüber, und er würde ihn bereits am Premierenabend zu sehen bekommen. Da war es egal, dass Tante Sheila Ray und Ava gezwungen hatte, ihn mitzunehmen, als sie sagten, sie würden sichWolfsblut anschauen. Jetzt war er hier, und er würde sich wie sie in einen Film schmuggeln, der erst ab siebzehn freigegeben war.

»Ava! Shawn!«

Shawn drehte sich um und sah, dass ihnen Ray entgegenkam, begleitet von seinem breit grinsenden besten Freund Duncan. Wieder ließ er Avas Hand los und hoffte, dass sie nichts gesehen hatten.

»Da seid ihr ja«, sagte Ava. »Das ist irre hier. Müssen wir uns da anstellen? Sagt bloß, ihr habt euren Platz in der Schlange aufgegeben.«

»Das ist die Schlange für die Tickets«, sagte Duncan. »Wir haben unsere schon.« Er fächerte sie mit großer Geste auf, während Ray johlte und hinter ihm einen Tanz aufführte.

»Ihr seid echt dämlich.« Ava lachte. »Siehst du, Shawn, das kommt dabei raus, wenn man die Schule schwänzt, um ins Kino zu gehen.«

»Hey, sei mal ein bisschen dankbar. Wir sind seit Stunden hier«, sagte Ray. Er drohte Shawn mit der Faust. »Und du denk dran, was passiert, wenn du Mom was erzählst.«

»Vor dir hab ich keine Angst, Ray. Aber Tante Sheila würde uns alle drei verdreschen.«

Ray lachte und öffnete die Faust wieder. Er machte nur Spaß. Und er wusste, dass Shawn den Mund halten würde. Shawn hatte Ray und Ava noch nie verpfiffen, auch nicht, als er noch kleiner war. Und wenn er ihnen Ärger einhandeln wollte, kannte er bessere Wege. Mann, wenn Tante Sheila schon nicht wollte, dass sie sich einen Gangfilm anschauten – was würde sie erst sagen, wenn sie wüsste, dass Ray in ei