Auch wir Ärzte sind nur Patienten
Ein persönliches Vorwort
Wir könnten zufrieden sein – Ärzte und Patienten. Der medizinische Fortschritt hat uns ungeahnte Behandlungsmöglichkeiten beschert. Krankheiten, die früher, noch vor wenigen Jahren, zu schwerem Leiden geführt hätten, wenn sie nicht gleich tödlich verlaufen wären, haben wir heute im Griff. Leber, Nieren, selbst das Herz können wir transplantieren. Fehlsichtigkeiten werden mit Laser korrigiert, Brillen müssen nicht mehr unbedingt getragen werden. Ein Bandscheibenvorfall lässt sich mikroinvasiv, also ohne großflächigen chirurgischen Eingriff beheben. Kinderlähmung, Tuberkulose und Lepra wurden heilbar. Seitenlang könnte man die Aufzählung von Beispielen für die segensreiche Entwicklung der Medizin fortschreiben.
Und dennoch, trotz dieser großartigen Erfolge herrscht eine eigentümlich getrübte, bisweilen gereizte Stimmung in unserem Gesundheitswesen, einem der besten weltweit. Fast will es mir vorkommen, als sei die Medizin selbst der kranke Mann. Für manche mag das übertrieben klingen, unvereinbar mit der Tatsache zahlloser Heilerfolge. Ich weiß! Ich kenne aber auch die Praxis eines zunehmend betriebswirtschaftlich optimierten »Behandlungssystems«. Keine Seite, die darüber nicht klagen würde. Patienten fühlen sich nicht verstanden, mehr und mehr zum »ökonomischen Faktor« reduziert, Ärzte fühlen sich überfordert und als »Funktionsmediziner am Fließband« missbraucht. Dabei hat es nicht an Gesundheitsreformen gefehlt, die Hoffnung machten. Was am Ende herauskam, war dann allerdings selten mehr als ein weiterer Reformbedarf. Haften blieb der Eindruck politischer Hilflosigkeit.
Ärzte und Patienten schüttelten den Kopf und übersahen zugleich, dass sie ihrerseits drauf und dran waren, einander aus den Augen zu verlieren, statt so zusammenzuwirken, wie es eine erfolgreich praktizierte Heilkunst verlangt. Verführt von den ungeahnten Möglichkeiten expandierender Apparatemedizin, sind wir gemeinschaftlich der Illusion erlegen, dass sich alles schon irgendwie technisch beheben ließe. Haben wir uns nicht geradezu an diesen »Aberglauben« geklammert, weil wir uns das andere, das ganzheitliche Verständnis des Menschen und seiner Leiden nicht mehr zutrauen? Der Mensch ist aber keine Maschine, kein Motor, den man, wenn er »stottert«, durch den Austausch von »Komponenten« wieder instand setzen könnte. Wer sich mit dieser Erwartung »behandeln« lässt, überfordert die Medizin von vornherein. Auf dem therapeutischen Holzweg ist, wer meint, den Stein aller ärztlichen Weisheit gefunden zu haben, wenn er die Heilkunst technologisch perfektioniert. Das sage ich nicht zuletzt als Radiologe, also als einer, der die Errungenschaften der Hightech-Medizin nutzt und selbst zu ihrer Weiterentwicklung forschend beiträgt.
Als Schulmediziner haben wir uns mehr und mehr auf die Seite der Naturwissenschaft geschlagen. Die Erfolge, der Sieg über Epidemien, die Fortschritte der Radiologie, die grandiosen Möglichkeiten der Hightech-Chirurgie, gaben uns recht. Alles, was wir der medizinischen Wissenschaft seit dem Ausgang des19. Jahrhunderts verdanken, hat uns in der Überzeugung bestärkt, dass es ausreiche, die eigene Fachrichtung exzellent zu beherrschen, um den Menschen helfen zu können wie nie zuvor. Herzspezialisten, Augenärzte, Radiologen, Internisten, Operateure, Psychologen oder Psychiater: Die Fachärzte unserer Tage sind hochgradig qualifiziert, aber allzu oft auch ausschließlich auf die eigene Disziplin konzentriert. Was uns fehlt, ist ein stärkeres Bewusstsein für die Notwendigkeit des Zusammenwirkens – bis in den Bereich der Naturheilkunde. Tatsächlich behandeln wir die Patienten eher funktionell a