: Paul Maar
: Wie alles kam Roman meiner Kindheit
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104912752
: 1
: CHF 10.00
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der »Sams«-Erfinder Paul Maar erzählt den Roman seiner Kindheit Paul Maar erinnert sich an den frühen Tod seiner Mutter, den viele Jahre im Krieg verschwundenen Vater, die neue Mutter, er erinnert sich an das Paradies bei den Großeltern und die unbarmherzige Strenge in den Wirtschaftswunderjahren. Paul Maars Erinnerungen sind zugleich Abenteuer- und Freundschaftsgeschichte, ein Vater-Sohn-Roman und eine Liebeserklärung an seine Frau Nele. Vor allem aber sind sie eine Feier der Lebensfreude, die er seinem Leben abtrotzen musste. Paul Maar beschreibt in seinen bewegenden Erinnerungen das, womit er sich auskennt wie kein Zweiter: die innere Insel, auf die sich Kinder zurückziehen. Wer dieses Buch gelesen hat, weiß, warum Paul Maar das »Sams« erfinden musste.

Paul Maar ist einer der beliebtesten und erfolgreichsten deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchautoren. Geboren 1937 in Schweinfurt, arbeitete er nach einem Studium der Malerei und Kunstgeschichte zunächst als Lehrer an einem Gymnasium, bevor er sich als freier Autor und Illustrator ganz auf seine künstlerische Arbeit konzentrierte. Nach rund vierzig Büchern und Theaterstücken für junge Leserinnen und Leser erschienen bei S. Fischer seine »Erwachsenenbücher« »Wie alles kam. Roman meiner Kindheit« und »Ein Hund mit Flügeln«. Maars Werk wurde vielfach gewürdigt, unter anderem mit dem E. T. A.-Hoffmann-Preis und dem Friedrich-Rückert-Preis. Etliche Schulen tragen seinen Namen.

Der Schatten meines Vaters


1.

Ich bin in der ersten Klasse des Gymnasiums. Der Musiklehrer findet, ich habe eine gute Singstimme. Deshalb werde ich in den Schulchor aufgenommen.

Während des Winterhalbjahrs üben wir ein Frühlingskonzert ein. Die Premiere findet dann im März außerhalb der Schule statt, in der nahe gelegenen Stadthalle. Es ist eine Abendveranstaltung, der Saal ist gut gefüllt.

Der Schulchor steht auf der Bühne, gestaffelt nach der Größe der Kinder. Ich stehe mit den anderen aus den drei ersten Klassen in der vordersten Reihe und singe mit inbrünstiger Begeisterung »Wie herrlich leuchtet mir die Natur, wie glänzt die Sonne, wie lacht die Flur …«

Die Liedtexte habe ich während der vielen Proben auswendig gelernt, so kann ich die Zuhörer vor mir betrachten. Es sind die Eltern, Großeltern und Verwandten der Kinder auf der Bühne.

Mit offensichtlichem Stolz blicken sie zu uns Sängern hoch. Ich lasse den Blick an den lächelnden Menschen in der ersten Reihe vorbeiwandern und spüre plötzlich, dass mich jemand fixiert.

Es ist mein Vater. Er sucht den Blickkontakt und blickt mich starr mit weit aufgerissenen Augen an, ohne zu blinzeln. Als er feststellt, dass der Kontakt hergestellt ist, setzt er sich betont aufrecht hin und zieht die Schulterblätter immer wieder vor und zurück, vor und zurück.

Ich kenne die Botschaft, die er mir auf die Bühne sendet: »Du stehst wieder krumm da und schiebst einen Buckel! Man muss sich schämen für dich.«

Ich richte mich auf, nehme die Schultern zurück und versuche, seinem Blick auszuweichen. Das Singen macht mir nicht mehr so viel Freude wie zu Beginn.

2.

Es gab einen in unserer Klasse, Martin hieß er, der war ein Jahr älter als die anderen. Er war sitzengeblieben und musste die Klasse wiederholen. Dieser Martin hatte mich zu seinem Feind und Opfer auserkoren und ließ keine Gelegenheit aus, mich zu beleidigen oder zu quälen. Er beschimpfte mich als Streber und spuckte mir verächtlich auf die Schuhe. Wahrscheinlich, weil die Deutschlehrerin mit meinen Aufsätzen immer zufrieden war, und ich manchmal meinen Aufsatz sogar laut vorlesen sollte.

Einmal hatte mir der Benker-Opa, der Vater meiner verstorbenen Mutter, ein Döschen Pfefferminzbonbons geschenkt. Es war eine kleine blau lackierte Metalldose mit einem Firmenaufdruck am Deckel, die bis an den Rand mit weißen linsengroßen Pfefferminzplättchen gefüllt war. Ich nahm sie mit in die Schule.

In der Pause ging ich zu Martin, hielt ihm die geöffnete Dose hin. »Darfst dir ein Bonbon nehmen!« Es war als Friedensangebot gemeint. Mit einer raschen, heftigen Bewegung schlug er mir von unten gegen die Hand, alle Bonbons wurden herausgeschleudert, und ich schaute verblüfft in die leere Dose.

»Ein Wunder ist geschehen! Es hat im Sommer geschneit«, rief er und zeigte auf den weißen Pfefferminzschleier, der nun den Boden des Schulhofs bedeckte. Obwohl die meisten aus meiner Klasse zu mir hielten, mussten sie über das Schneewunder lachen. Ich verbarg meine Enttäuschung, steckte die nun leere Dose in die Tasche und lachte mit. Leider wohnte Martin im selben Stadtviertel wie ich, so dass wir den gleichen Heimweg hatten.

Eine gute Gelegenheit für ihn, mir etwa von hinten den Schulranzen zu öffnen und den Inhalt meines Federmäppchens auf den Gehsteig zu verstreuen.

Ich konnte noch so oft »Lass das, du Arsch! Hör auf damit!« rufen. Es hatte keine Wirkung. Er war älter, größer und stärker.

An einem Februartag kam ich mit einer roten Bommelmütze zu