Es ist der Spätherbst des Jahres 1935. In dem kleinen Pariser Vorort Sceaux im Département Hauts-de-Seine kommt am 8. November frühmorgens um vier Uhr der Junge Alain Fabien Maurice Marcel Delon zur Welt. Es ist ein sehr kleinbürgerliches Milieu, in das er hineingeboren wird und das für einige wenige Jahre sein Zuhause sein soll. Seine Mutter Édith Arnold (1911 – 1995) arbeitet eine Zeit lang zunächst als Assistentin in einer örtlichen Apotheke, sein korsischer Vater Fabien Delon (1904 – 1977) ist stolzer Betreiber des einzigen Filmtheaters am Platz, des Le Régina. Eigentlich ist der kleine Alain ein Kind der Liebe, er ist ein Wunschkind seiner Mutter Édith.
Als Alain vier Jahre alt ist, trennen sich seine Eltern jedoch. »Ich habe meine Eltern einander niemals küssen sehen«, wird Alain Delon rückblickend sagen.
1939 heiratet Édith Arnold den Schlachtermeister Paul Boulogne. Sie leben nun in Bourg-la-Reine, einer Nachbargemeinde von Sceaux, an der Route d’Orléans etwa zehn Kilometer südlich von Paris gelegen. Monsieur Boulogne besitzt in Bourg-la-Reine eine eigene Schlachterei mit einem guten Dutzend Angestellter, gelegen in der einzigen großen Durchfahrtsstraße des Ortes, der Grande-Rue.
Hier in Bourg-la-Reine, im Alter von vier Jahren, setzt mit der Trennung der Eltern die familiäre Haltlosigkeit Alain Delons ein, die einerseits die Suche nach Liebe nach sich zieht, ein Leben lang, andererseits zugleich den ausgeprägten Hang zu Isolation und Einsamkeit begründet.
Hier liegt der Grundstein der tief ausgeprägten Ambivalenz, die Delons vielschichtigen Charakter ausmacht: die Suche nach Liebe und zugleich der Drang nach Einsamkeit; das durchaus Dunkel-Zwielichtige und zugleich die große Hilfsbereitschaft, wenn Freunde oder Ex-Frauen in Not sind.
Es sind die zwei Gesichter des Alain Delon.
In den 1980er-Jahren spricht Delon in einem Fernseh-Interview darüber, wie sehr er die Einsamkeit brauche, wenn er sie für einige Zeit nicht gespürt habe. Ohne sie könne er schlicht nicht leben. Einsamkeit sei kein Makel, so Delon, sondern etwas, was er liebe. Er kennt sie seit seiner Kindheit vor den Toren von Paris.
Delon und Nähe, Delon und Greifbarkeit – das ist nicht ganz einfach, das ist vielmehr fast unvereinbar. Immer auch wird Alain Delon später, als öffentliche Person, vorsichtig und misstrauisch sein, scheu der Presse gegenüber. Nur selten, und dann ungern, wird er Interviews geben.
»In meiner Familie hatte ich einen schweren Stand. Meine Eltern waren geschieden. Ich lebte zwischen einer Mutter und einem Stiefvater auf der einen, einem Vater und einer Stiefmutter auf der anderen Seite. Ich war ein Störenfried, das überzählige Kind, der Bengel zwischen zwei Paaren, der allen auf die Nerven ging. Wirklich. Ich war ein Kind der Liebe, aber als die Liebe in die Brüche ging, machten beide neue Kinder. Keiner wusste mit mir noch etwas anzufangen.«4
Er ist das schwarze Schaf, das Enfant terrible.
Bald schon kommt der junge Alain vorübergehend zu Pflegeeltern, es ist der nächste biographische Bruch in diesen frühen Jahren. Viele dieser Brüche sollen noch folgen.
Als am 1. September 1939 in Europa der Zweite Weltkrieg ausbricht, da wird Deutschland, das Nachbarland jenseits des Rheins, zum Erzfeind.
Alain Delons Kindheit ist auch eine Kindheit in Kriegszeiten. Es ist eine schwierige, entbehrungsreiche Kindheit, recht einfach, recht freudlos, und vor allen Dingen ohne ein rechtes Zuhause.
Als die Deutsche Wehrmacht den Frankreich-Feldzug am 10. Mai 1940 beginnt und vier Wochen später, am 14. Juni, schließlich in Paris einmarschiert und die französische Metropole unter die Besetzung derBoches fällt, da ist der kleine Alain noch keine fünf Jahre alt. In den kommenden fünf Kriegsjahren wird er immer wieder am Rande ein wenig davon mitbekommen, was vor sich geht.
Diese dunkle Zeit der 1940er-Jahre beschreibt Alain Delon im Jahr 2018 auf eindrückliche Weise wie folgt:
»Ich kam 1935 auf die Welt. 1945 war ich zehn. Ich war kein Idiot. Ich sah alles, verstand alles. Ich wohnte damals in Bourg-la-Reine, meine Mutter war Verkäuferin. Ich lieferte Lebensmittel an Leute aus, die mir dafür was zu essen gaben. Gegenüber gab es einen Laden, dessen Besitzer aus dem Fenster sah, um die Deutschen durchziehen zu sehen, und sic