: Theodor Tomandl
: Die Spur führt nach Aqaba. Thriller
: Verlagshaus Hernals
: 9783902975461
: 1
: CHF 6.20
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 404
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Der antike Historiker Flavius Josephus schilderte 93 n. Chr. in seinem Werk„Jüdische Altertümer" die Geschichte des jüdischen Volkes. Zwei Abschnitte daraus, genannt Testimonium Flavianum, beschreiben den historischen Jesus, seine Wunder und bezeichnen ihn sogar als den Messias. Es berichtet also ein Historiker - und kein Christ - von der Göttlichkeit Jesu.
Seit Jahrhunderten tobt ein erbitterter Streit darüber, ob diese Passagen von Christen nachträglich in das Werk von Flavius Josephus eingefügt wurden.
Theodor Tomandl erzählt nun die Geschichte des Historikers Tom Grader, der vom Erkenntnistrieb besessen, alle wissenschaftlichen Konventionen außer Acht lässt, um die Echtheit dieses antiken Textes zu beweisen. Er gefährdet seine Familie und riskiert seine Karriere. Sein Weg führt dabei von Chicago nach Trier, in ein russisches Kloster, auf den Berg Athos, nach Ägypten und schließlich nach Aqaba. Der ewige Konflikt zwischen dem Glauben und wissenschaftlicher Erkenntnis begleitet ihn dabei. Es gelingt ihm, die Spekulationen um das Testimonium Flavianum zu beenden. Aber ist das den Preis wert, den Grader dafür bezahlen muss?

2. KAPITEL


Trier


 

 

Trier, die Stadt, die Kaiser Konstantin der Große zur Hauptstadt des Weströmischen Reiches erhoben hatte, war ein Erlebnis. Aber dieser Kongress! Bisher eine einzige Enttäuschung. Der Saal besaß die Ausstrahlung einer Bahnhofshalle. Ein unbequemer Klappsessel bügelte Falten in meinen Allerwertesten. Nur der kalte Luftstrahl, der aus dem dünnen Schlitz im Pult kam, verhinderte, dass mein müder Kopf auf das Tischbrett sank. Zu spät ins Bett gekommen und zu viel Alkohol! Das waren zwangsläufige Zutaten bei Kongressen. Doch das dürfte einem Tom Grader nichts anhaben. Ein begeisternder Vortrag hätte mich wach gehalten. Bisher gab es den allerdings nicht. Gelangweilt ließ ich meinen Blick durch den Saal schweifen, bis er auf die wie Schwalbennester an der Stirnwand hängenden Kabinen der Dolmetscher fiel. Ich beobachtete das Spiel der Hände, mit dem die Übersetzer ihre Versuche begleiteten, den Vortragstext in verschiedenen Sprachen wiederzugeben. Eine junge Frau fiel mir durch ihre besonders graziösen Bewegungen auf. Plötzlich fuhr es wie ein Blitz durch meinen Körper. In ihren Bewegungen sah ich Ruth vor mir, wie sie hingebungsvoll ihre Geige spielte. Sie hatte auch dieselben pechschwarzen Haare wie Ruth. Das war mir zunächst nicht aufgefallen, weil sie zu einem Pferdeschwanz gebunden waren, was Ruth verabscheute. Die Kabine war zu fern, um ihr Gesicht genau zu erkennen oder an ihren Lippen abzulesen, in welche Sprache sie übersetzte. Meine Mutter war in Deutschland aufgewachsen und hatte mit uns Kindern Deutsch gesprochen, daher beherrschte ich ihre Muttersprache wie meine eigene. Ich hatte daher die Gelegenheit beim Schopf gepackt und die deutsche Übersetzung eingestellt. Sie stammte nicht von der jungen Frau. Ihre Gestik passte nicht zu dem deutschen Text. Ich nahm die Fernbedienung zur Hand und wählte den englischen Kanal. Bingo! Das war sie. Ihr Englisch hatte einen leichten Akzent, den ich nicht einordnen konnte. Die Stimme war hell und einnehmend. Keine Spur des leicht rauchigen Timbres meiner Frau. Ihre Übersetzungen kamen fließend. Mir fiel jedoch auf, dass ihr einige Fachausdrücke Schwierigkeiten bereiteten. Sie verbarg das geschickt, aber einem Kenner der Materie konnte sie nicht verheimlichen, dass sie nicht vom Fach war. Trotz dieses Mankos traf sie den Kern der Aussagen mit ziemlicher Sicherheit. Wie oft hatten mich bei Kongressen die Übersetzungen zur Verzweiflung gebracht. Verfiel der Vortragende in die verbreitete Unsitte, schnell zu sprechen, konnte man die Kopfhörer getrost weglegen. Mit den verstümmelten Sätzen, die der Übersetzer dann von sich gab, war nichts anzufangen. Selbst bei Sprachen, die ich nur schlecht verstand, erfasste ich den Sinn der Aussagen meist besser, wenn ich auf die Simultanübersetzung verzichtete und dem Redner zuhörte. Zu meiner Freude schaffte es die junge Frau jedoch, die wichtigen Aussagen zu vermitteln. Überflüssiges rhetorisches Beiwerk überging sie einfach.

Als Fjodor Valenski ans Rednerpult trat, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf ihn. Er war in den besten Jahren, groß gewachsen, schütterer Haarwuchs, Denkerstirn und randlose Brille. Wie so oft erwies sich ein renommierter Forscher als miserabler Redner. Seine historische Einleitung war so trocken, dass ich die das Rednerpult umrahmenden Blumen bereits verdorren sah. Ich musste gähnen, was mir einen strafenden Blick meines Sitznachbarn eintrug. Ein rascher Rundbli