: Helen Santos
: Kalebs Lamm
: Bibellesebund Verlag
: 9783955683184
: 1
: CHF 1.80
:
: Abenteuer, Spielgeschichten, Unterhaltung
: German
: 112
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kaleb, der Hirtenjunge, hasst die Schafe. Erst als er ein Lamm vor dem sicheren Tod rettet, gewinnt dieses seine Liebe. Damit ändert sich Kalebs Einstellung von Grund auf. Und eines Tages rettet ihm das Lamm das Leben. Die Geschichte spielt in der Zeit, als das jüdische Volk in Ägypten wohnt und der Pharao sich weigert, es ziehen zu lassen.

Helen Santos ist eine Autorin aus Großbritannien, zu deren bekanntesten Büchern unter anderem Kalebs Lamm (Caleb's Lamb) und Pepes Hund (Pepe's Dog) gehören.

Das verlorene Schaf

Es war vor langer, langer Zeit im Land Gosen im Reich Ägypten. Ein Junge schlief tief und fest am Fuß eines Dornbaums. Um sich vor wilden Tieren zu schützen, hatte er sich mit ein paar abgerissenen Zweigen zugedeckt. Und um sich warm zu halten, hatte er sich unter dem abgewetzten Mantel seines Vaters so eng wie möglich zusammengerollt.

Seit über einer Stunde stand die Sonne am Himmel. Doch der Junge hatte mehr als die halbe Nacht wach gelegen und sich gefürchtet. Nun konnte das helle Licht ihn nicht in seinem Schlaf stören.

Hoch oben auf einem Ast des Dornbaums saß ein Geier. Er drehte den Kopf hin und her, während er mal mit dem einen Auge, dann mit dem anderen den Jungen unter sich beobachtete. Er hüpfte unruhig auf seinem Ast herum und versuchte neugierig, das Bündel am Fuß des Baums besser zu sehen. Schließlich stieß er ein durchdringendes Krächzen aus, von dem der Junge erwachte.

Der Mantel wurde zurückgeschlagen, und ein dunkler Lockenkopf erschien. Schläfrige Augen öffneten sich unwillig und weiteten sich angstvoll, als der Junge sich erinnerte, wo er sich befand und dass er allein war.

Er setzte sich auf, lehnte sich mit dem Rücken an den Baumstamm und schlang zitternd den Mantel wieder um seine Schultern. Die Sonne hatte noch nicht ihre wärmende Kraft entfaltet. Der Frühling war jung und die Luft schneidend kalt.

Kaleb, so hieß der Junge, trug eine Schaffell-Jacke über seinem Gewand und darüber den Mantel, der seinem Vater gehörte. Doch der Boden war ebenso kalt, wie er hart war.

Kalebs braune Augen blickten zum Geier hinauf. Das musste ein schlechtes Vorzeichen sein, dass ausgerechnet ein solcher Vogel dasaß und ihn anstarrte. Sein langer Schnabel diente zum Hacken und Reißen. Die krummen, langen Klauen, die sich jetzt an den Ast klammerten, konnten sich genauso fest in ein verletztes Tier krallen. Die scharfen, tückischen Augen schienen gierig zu lauern.

Kaleb sprang plötzlich zornig auf. Er fuhr mit den Armen durch die Luft und rief dem Geier zu: »Weg da! Scher dich fort! Starr mich nicht so an!« Doch der Geier starrte noch neugieriger und ohne das geringste Anzeichen von Furcht.

Es war Kalebs schlechtes Gewissen, das ihn so wütend auf den Geier reagieren ließ. Seit er erwacht war, bedrängten ihn die Erinnerungen an den gestrigen Tag – an den Zorn seines Vaters, an seinen eigenen Ärger, an das verlorene Mutterschaf …

Oh, wie er die Schafe hasste! Diese dummen Tiere. Wussten sie denn noch immer nicht, dass sie nur bei der Herde sicher waren, weil da der Hirte auf sie achtgab? Wussten sie noch immer nicht, dass sie abends in den Pferch gehörten?

Offenbar nicht, sonst würden sie ja