»Wie Sterne am nächtlichen Himmel«
Es war Schlafenszeit. Peter und David saßen in ihren Schlafanzügen auf dem großen Bett, während ihr Vater ihnen wie jeden Abend etwas vorlas. Aber heute war es anders als sonst, weil es der letzte Abend mit Peter war. Morgen würde er ins Internat fliegen, ganz allein mit dem Flugzeug. Und am anderen Ende der Reise würde ihn seine Großmutter erwarten. David wusste nicht recht, wie seinem Bruder jetzt zumute war.
Natürlich hatte Peter damit geprahlt, dass es ihm großartig ginge. Und als die Schuluniform angekommen war, war David grün geworden vor Neid. Aber jetzt saß Peter aufrecht und sehr still mit gekreuzten Beinen auf dem Bett. Sein schmales Gesicht war erhitzt, und seine hellen Haare standen wie Stacheln vom Kopf ab, denn er kam gerade aus der Dusche. Die Hände hatte er fest ineinander verschlungen und die Augen etwas traurig auf den Vater gerichtet. Auch den Vater schien es sehr zu beschäftigen, dass Peter sie verlassen sollte.
»Ich gebe dir vier Minuten Zeit, diesen Vers auswendig zu lernen«, sagte er und gab Peter die Bibel. »Ich möchte, dass du ihn nicht vergisst, wenn du fort bist.«
David mochte es nicht, wenn man ihn überging. Er steckte seinen Kopf unter Peters Ellbogen durch wie ein kleiner Ziegenbock und versuchte, den Vers auch zu lernen. Die Worte waren ziemlich lang und schwierig, aber der Vater hatte vorher erklärt, was sie bedeuteten. Es waren die Worte ausPhilipper 2,14 und 15. »Tut, was Gott gefällt, ohne Wenn und Aber! Dann seid ihr rein und fehlerlos und erweist euch als Gottes vollkommene Kinder mitten unter verirrten und verdorbenen Menschen. Unter ihnen werdet ihr leuchten wie die Sterne am nächtlichen Himmel.«
Genau vier Minuten war es völlig still. Peters Lippen bewegten sich noch lautlos, als David einen lauten Seufzer ausstieß und sich unruhig zu bewegen begann. Er wünschte, es ginge schneller, denn sie wollten noch ein Abschiedsfest feiern. Die Mutter und Ruth waren schon so weit; er konnte sie im Nebenzimmer flüstern hören. Endlich gab Peter das Buch zurück und wiederholte den Vers fehlerlos, denn er war schon zehn Jahre alt. David sprach den Teil mit, den er konnte. Er war erst acht, es würde noch ein paar Monate dauern, bis er neun Jahre alt wurde.
Einige Minuten später waren sie fertig und konnten zu Mutter und Ruth ins Wohnzimmer gehen. Sie setzten sich alle auf einen Teppich um einen kleinen Tisch herum, der knapp zwanzig Zentimeter hoch war. Es wurde ein herrliches Fest mit gesalzenen Erdnüssen, Gebäck, Orangensaft und Kartoffelchips – alles Dinge, die Peter besonders gern mochte. Und weil er zu Weihnachten nicht bei ihnen sein würde, zündeten sie eine Kerze an und schalteten das Licht aus. An diesem Abend waren sie alle geborgen im gemütlichen Kreis des Kerzenlichts. Die Kinder waren so fröhlich wie immer. Keines von ihnen ahnte, dass die Eltern, die auch fröhlich schienen, in ihren Herzen dachten: ›Dies ist das letzte Mal, dass wir so als ganze Familie zusammen sind. Wenn wir Peter wiedersehen, wird er so vieles über die Welt außerhalb des Kerzenlichts gelernt haben. Vielleicht wird er sich dann zu erwachsen vorkommen, um noch an einem kleinen Fest im Schlafanzug Freude zu haben.‹
Schließlich kam das Ende, denn Ruths Lockenkopf wurde schwer, und die Kerze war heruntergebrannt. Sie wuschen sich die klebrigen Finger, putzten sich die Zähne und krochen ins Bett. Die Mutter kniete lange neben Peter und sprach mit leiser Flüsterstimme mit ihm. David, der eilig ins Bett gesteckt und geküsst worden war, lag still da und dachte darüber nach, ob er fröhlich oder traurig sein würde, wenn seine Abschiedsstunde im nächsten Jahr käme.
Am Morgen waren alle in Eile. Sie mussten um halb neun am Flughafen sein, und der lag weit draußen vor der Stadt. Der Vater, der Arzt war, verabschiedete sich, als sie noch am Frühstückstisch sa