: Patricia St John
: Spuren im Schnee
: Bibellesebund Verlag
: 9783955683221
: 1
: CHF 2,70
:
: Abenteuer, Spielgeschichten, Unterhaltung
: German
: 221
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sieben Jahre ist Annette alt, als ihre Mutter stirbt. Nun muss sie auf dem kleinen Bergbauernhof in den Schweizer Alpen für ihren Vater und den kleinen Bruder Dani sorgen. Bei einem Streit mit dem Nachbarsjungen Lukas verunglückt Dani schwer. Annettes Hass kennt keine Grenzen. Sie scheut kein Mittel, um Lukas zu bestrafen - und wird dabei selbst unglücklich. Eines Tages erfährt Lukas von einer Möglichkeit, das Geschehene wiedergutzumachen. Er setzt sein Leben aufs Spiel, damit Dani wieder gesund werden kann. 'Spuren im Schnee' ist ein zeitloser Klassiker und eins der erfolgreichsten Bücher von Patricia St. John, die deutsche Übersetzung ist inzwischen in der 25. Auflage erschienen und der Roman wurde auch schon verfilmt.

Patricia St. John (1919 - 1993) war eine englische Krankenschwester und Missionarin in Marokko sowie Autorin vieler Kinder- und Jugendbücher. Patricia war das dritte von fünf Kindern und kam in London zur Welt kurz nach dem ihre Eltern, die als Missionare arbeiteten, aus Brasilien zurückgekehrt waren. Ihre Kindheit verbrachte sie in England, war zwischendurch allerdings für ein Jahr in der Schweiz (Erinnerungen an die Zeit flossen in den Roman 'Spuren im Schnee' ein). Auch die Reisen, die sie als Erwachsene machte, inspirierten sie zu Romanen, das gilt vor allem für ihre Zeit als Missionskrankenschwester in Marokko, wo sie zunächst in Tanger, dann in einem Dorf in den Bergen arbeitete. Ihre Erlebnisse dort ließen sie 'Hamid und Kimza', 'Überraschung im Morgengrauen' und 'Die Silberne Straße' schreiben. Andere Reisen führen sie nach Spanien, Rumänien, Libanon, in die Türkei sowie nach Ruanda und Äthiopien. Sie engagierte sich sehr für das christliche Kinderhilfswerk Global Care, das von ihr mitgegründet wurde und dessen Leiterin sie eine Zeit lang war. Ihre Bücher wurden in über 35 Sprachen übersetzt, mehrere wurden auch verfilmt. In Deutschland sind ihre Romane beim Bibellesebund in Zusammenarbeit mit CLV erschienen.

2. Kapitel

So kam es, dass der kleine Daniel Brunner schon drei Stunden nach seiner Geburt nicht wie andere Kinder eine erwachsene Frau zur Mutter hatte, sondern seine siebenjährige Schwester Annette. Zwar blieb die freundliche Gemeindeschwester noch eine Zeit lang im Haus, um den Kleinen zu versorgen, und als sie ging, stellte der Vater eine Frau aus dem Dorf an, um ihn zu pflegen. Aber er gehörte zu Annette und niemand nannte ihn je anders als »Annettes Kleiner«.

Als nämlich der erste große Schmerz vorüber war, holte Annette aus der Tiefe ihres einsamen, traurigen Herzens den ganzen Reichtum ihrer Liebe herauf und schüttete ihn über ihren kleinen Bruder aus. Sie hielt ihm das Fläschchen, wenn er trank, und saß stundenlang neben seiner Wiege, für den Fall, dass er aufwachen und nach ihr verlangen möchte. Sie war es, die nachts zu ihm lief, wenn er aufwachte oder im Schlaf wimmerte. Sie war es, die ihn um die Mittagszeit auf den Balkon hinaustrug. Und in dieser Atmosphäre sonniger Liebe gedieh der Kleine, sodass bald im ganzen Tal kein fröhlicheres, kräftigeres Kind zu finden war. Er schlief und erwachte und lachte und aß und strampelte und schlief wieder ein. Er verursachte nie auch nur einen Augenblick der Sorge.

»Er ist unter einem guten Stern geboren«, behauptete die Frau vom Dorf und betrachtete ihn gedankenvoll.

»Er ist unter einem Weihnachtsstern geboren«, erwiderte Annette ernsthaft. »Ich glaube, er wird immer zufrieden und glücklich sein.«

Und wie er wuchs! Als die Sonne die Schneemassen zu schmelzen begann und in den gelblichen Wiesen die Krokusse ans Licht lockte, musste er größere Kleider haben. Und gleich, nachdem die Kühe zur Alm hinaufgezogen waren, brach sein erstes Zähnchen durch. Da Annette nichts von ersten Zähnen wusste und keine Beschwerden erwartete, vergaß der Kleine selbst, dass es eine beschwerliche Sache sein sollte. Anstatt zu jammern und zu schreien, kicherte und lachte er und lutschte an seiner Faust.

Als dann die Buchenblätter wie goldene Fackeln unter den dunklen Tannen leuchteten und die ersten Herbststürme über die Berge fegten, wurde die Wiege zu klein für Dani, der nun auf dem Boden herumzurutschen begann. Vom Ofen bis zur Balkontreppe wollte er alles erforschen, sodass Annette einige aufregende Wochen erlebte und ihn aus allen möglichen Gefahren erretten musste. Schließlich fand sie, sie könne die Spannung nicht länger ertragen, und band ihm den einen rosigen Fuß am Küchentisch fest. Nun konnte er im Kreis herum Entdeckungsreisen unternehmen und das Leben wurde wieder ruhiger.

Eines Abends, nachdem sie Dani zu Bett gebracht hatte, kam Annette in die Wohnstube herunter und fand ihren Vater beim Ofen sitzen, den Kopf in die Hände gestützt. Er sah alt und müde aus. Das war zwar öfter der Fall, seit Mutter gestorben war; aber heute sah er noch schlechter aus als sonst. Annette, die sich alle Mühe gab, die Lücke auszufüllen, die ihre Mutter hinterlassen hatte, kletterte auf seine Knie und legte ihre weiche Wange an die knochige, braune ihres Vaters.

»Was ist los, Papa?«, fragte sie. »Bist du heute besonders müde? Soll ich dir eine Tasse Kaffee kochen?«

Forschend blickte der Vater auf seine Tochter herab. Sie sah so klein und zierlich aus wie eine Elfe mit goldenem Haar. Und dabei war sie so vernünftig und mütterlich! Er wusste nicht, wie es gekommen war, aber im vergangenen Jahr hatte er es sich angewöhnt, seine Schwierigkeiten mit ihr zu teilen und sich sogar ihre ernsthaften Ratschläge anzuhören. So drückte er jetzt ihren Kopf an seine Schulter und erzählte ihr alles.

»Wir werden eine Kuh verkaufen müssen, Annette«, erklärte er traurig. »Wir müssen mehr Geld haben, sonst gibt’s keine Winterschuhe für dich.«

Annette hob den Kopf und starrte ihn entsetzt an. Sie hatten bloß sechs Kühe und an jeder einzelnen hingen sie wie an einem persönlichen Freund. Welche auch gehen müsste, sie würde ihnen schrecklich fehlen. Nein, sie musste einen besseren Weg ausfindig machen, um Geld zu verdienen!

»Schau«, fuhr der Vater fort, »in anderen Familien ist eine Mutter da, um für die Kinder zu sorgen; ich aber muss eine Hilfe bezahlen, um Dani zu pflegen. Das ist teuer. Und doc