1 »ICH BIN JOHN DOE.«
WARUM JOURNALISMUS UND DEMOKRATIE ZUSAMMENGEHÖREN
Die Gesellschaft besser machen: auf dem Marktplatz der Information
Bastian Obermayer war gerade dabei, die Betten frisch zu beziehen – ein Virus hatte seine Frau und seine Kinder niedergestreckt –, da meldete sich die Quelle: »Hello, this is John Doe. Interested in data?« Ob dies per Mail, Textnachricht oder Telefon geschah, ob Mann oder Frau, all das verrät der Investigativjournalist derSüddeutschen Zeitung bis heute nicht. Denn die Quelle verdient höchsten Schutz.1 An jenem Abend Anfang 2015 konnte Obermayer nicht ahnen, dass diese Kontaktaufnahme in die bislang größte investigative Recherche weltweit münden würde, die »Panama Papers«.2
Es begann ein Jahr der Recherche, die selbst innerhalb der SZ-Redaktion geheim gehalten wurde. »Manche Kollegen hatten uns schon gefragt: Was macht ihr eigentlich so beruflich?«, erzählt Obermayer später in einem Imagefilm für dieSZ. Denn zum Tagesgeschäft trugen er und sein Kollege Frederik Obermaier in dieser Zeit kaum etwas bei. Unter dem Dach des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten werteten sie stattdessen zusammen mit 400 Journalisten aus 80 Ländern insgesamt 11,5 Millionen Dokumente mit 2,6 Terrabyte Daten aus. Am 3. April 2016 wurden schließlich die ersten Erkenntnisse zu dem gigantischen Netzwerk der Steuerhinterziehung rund um die Kanzlei Mossack Fonseca parallel in namhaften Medien weltweit veröffentlicht.
Daten alleine machen allerdings noch keinen Journalismus. Es ging also auch darum, die Geschichten dahinter zu recherchieren. Für die Reporter und Redakteure galt es beispielsweise herauszufinden, was von all den Aktivitäten als Verbrechen zählen könnte, was »nur« moralisch verwerflich und was Privatsache und deshalb keine Berichterstattung wert war. Bevor man jemanden zum Täter erklärt, ist schließlich höchste Sorgfalt geboten. Falsche Anschuldigungen sind nicht nur desaströs für die Betroffenen. Haben diese ausreichend Einfluss und entsprechende Anwälte, können Verleumdungsklagen schon mal ganze Medienunternehmen in den Ruin treiben. Daneben und als womöglich schlimmerer Effekt schaden sie der Glaubwürdigkeit der gesamten Branche. Was im Fall der Panama Papers im Nachhinein als Glanzstück des Journalismus gefeiert wurde, war deshalb für wohl alle Beteiligten psychisch enorm belastend. Für Reporter aus bestimmten Ländern konnte ihr Mitwirken an der Großrecherche sogar Lebensgefahr bedeuten.
Die Bürgerinnen und Bürger haben von dem hohen Einsatz profitiert. 1,2 Milliarden Dollar wurden weltweit in Staatskassen zurückgeholt. Es gab Hunderte Verfahren, Dutzende Gesetzesänderungen, die Premierminister von Island und Pakistan mussten zurücktreten. Die Kanzlei Mossack Fonseca, die im Zentrum der Geldschiebereien stand, machte dicht. »Die ganze Offshore-Industrie lebt jetzt im Post-Panama-Papers-Zeitalter, in dem alles wesentlich strenger ist«, resümiert Obermayer. »In den Köpfen der Menschen ist verankert: Offshore ist ein Problem.«3
Die Großrecherche hat so ziemlich alles abgeräumt, was an internationalen Journalistenpreisen verliehen wird, darunter den Pulitzerpreis, für jeden Reporter die höchste aller Ehren. Der Sinn von Journalismus ist es gleichwohl nicht, Egos zu streicheln und Leistungsschau zu betreiben. In der Demokratie fällt ihm vielmehr die Rolle zu, die Gesellschaft zu verbessern – im umfassendsten Sinne. Er ist den Bürgern verpflichtet, nicht dem Staat oder mächtigen Privatinteressen. In einer entsprechenden Richtlinie des Europarats heißt es daher: »Qualitätsjournalismus mit seiner Verpflichtung, nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Präzision, Unabhängigkeit, Transparenz und Menschlichkeit zu streben und als öffentliches Gut Verantwortlichkeit in allen Bereichen der Gesellschaft zu fördern, ist wie eh und je existenziell für die Funktionsfähigkeit von Demokratien.«4
Während Medien in autoritären Regimen vor allem dazu eingesetzt werden, Macht zu legitimieren und zu stabilisieren, ist es ihre Aufgabe in der Demokratie, die vielfä