1. Das Spiel der Pilgerreise
Weihnachten ohne Bescherung ist nicht Weihnachten!, murrte Jo, die auf dem Kaminteppich ausgestreckt lag.
Wie schrecklich ist es, arm zu sein!, seufzte Meg mit einem Blick auf ihr altes Kleid.
Ich finde es nicht hübsch, dass manche Mädchen die schönsten Sachen im Überfluss und andere gar nichts haben, setzte die kleine Amy in etwas gekränktem Ton hinzu.
Wir haben immerhin Vater, Mutter und uns einander, rief Betty zufrieden aus ihrem Winkelchen herüber.
Die vier jungen, vom Feuerschein beleuchteten Gesichter erhellten sich bei diesen Worten, wurden aber sofort wieder düster, als Jo traurig sagte:
Wir haben den Vater nicht und werden ihn lange nicht haben. Sie setzte nicht hinzu: Vielleicht nie! Aber die anderen taten’s im Stillen und gedachten des Vaters, der fern auf dem Schlachtfeld weilte.
Eine Minute lang sprach niemand, dann begann Meg in verändertem Ton:
Ihr wisst, der Grund, weshalb unsere Mutter dies Weihnachtsfest ohne Geschenke zu begehen beschloss, ist der, dass dieser Winter für jedermann ein sehr harter ist. Sie will kein Geld für Vergnügen ausgegeben wissen, während unsere Leute draußen die Drangsale des Kriegs zu erdulden haben. Wir vermögen nicht viel, aber wir können doch auch unsere kleinen Opfer bringen und sollen dies freudig tun. Doch ich fürchte, freudig tue ich’s nicht! Dabei schüttelte Meg den Kopf, indem sie an all die hübschen Dinge dachte, die sie sich wünschte.
Aber ich denke, das wenige, was wir draufgehen lassen, könnte auch nichts helfen. Wir besitzen jede einen Dollar, und der würde der Armee nicht viel nützen. Ich bin damit einverstanden, von der Mutter und euch nichts zu bekommen, doch möchte ich mir »Undine« und »Sintram« für mich selbst kaufen; ich wünsche sie mir so lange schon!, sagte Jo, die ein Bücherwurm war.
Ich hatte mir vorgenommen, meinen Dollar für Noten auszugeben, sagte Betty mit einem kleinen Seufzer, den niemand hörte als der Kaminbesen und der Kesselhaken.
Ich werde mir ein hübsches Etui mit Faber’schen Bleistiften kaufen, die ich notwendig brauche, sagte Amy entschieden.
Die Mutter hat unseres Geldes wegen nichts bestimmt, und sie wird nicht wollen, dass wir allem entsagen. So lasst uns jede kaufen, was wir nötig brauchen, und uns einen kleinen Spaß machen. Ich meine, den haben wir uns sauer genug verdienen müssen!, rief Jo und betrachtete wie ein Mann ihre Stiefelabsätze.
Von mir weiß ich das gewiss, fast den ganzen Tag lang diese schrecklichen Kinder zu unterrichten, wenn man sich’s daheim gern möchte wohl sein lassen, fügte Meg, in den kläglichen Ton zurückfallend, hinzu.
Ihr habt’s nicht halb so schlimm wie ich, jammerte Jo. Wie würd es euch gefallen, stundenlang mit einer alten, nervösen, verwöhnten Dame eingeschlossen zu sein, die euch stets im Trab hält, nie zufrieden ist und euch quält, bis ihr zum Fenster hinausfliegen oder sie ohrfeigen möchtet?
Es ist unartig, zu klagen, aber meine Meinung ist, dass Geschirraufwaschen und Möbelabstäuben die schlimmsten Arbeiten in der Welt sind. Es macht mich verstimmt und meine Hände so steif, dass ich kaum meine Stücke üben kann. Dabei sah Betty auf ihre rauen Hände mit einem Seufzer, den diesmal jeder hören konnte.
Ich glaube nicht, dass eine von euch so leidet wie ich, rief Amy, denn ihr braucht nicht mit impertinenten Mädchen in die Schule zu gehen, die euch plagen, wenn ihr eure Aufgabe nicht könnt, euren Anzug bespötteln, über eure Nase lachen, wenn sie nicht hübsch ist, und euren Vater etikettieren, wenn er nicht reich ist.
Wenn du persiflieren meinst, könntest du recht haben, doch sprich nicht von Etiketten, als ob Papa eine Pickelbüchse wäre, sagte Jo lachend.
Ich weiß, was ich meine, und du brauchst darüber nicht satirisch zu sein. Es ist sehr gut, sich gewählter Ausdrücke zu bedienen und seinen Wortschatz zu bereichern, sagte Amy mit Würde.
Hackt nicht aufeinander, Kinder! Wünschst du nicht, dass wir das Geld noch hätten, das Papa verlor, als wir klein waren, Jo?, fragte Meg, die an vergangene bessere Zeiten zurückzudenken vermochte. Lieber Gott, wie glücklich und gut würden wir sein, wenn wir keine Mühsal hätten.
Neulich sagtest du doch, wir seien viel glücklicher als Kings Kinder, die sich trotz ihres Geldes alle Tage zanken und ärgern.
Das sagte ich, Betty. Ja, ich denke, wir sind’s auch: denn obgleich wir hart arbeiten müssen, so haben wir doch auch unseren Spaß unter uns und sind ein urgemütliches Volk, wie Jo sagen würde.
Jo bedient sich solcher Studentenausdrücke, bemerkte Amy, indem sie die auf dem Kaminteppich ausgestreckte Gestalt missbilligend ansah. Jo sprang sofort in die Höhe, steckte ihre Hände in die Schürzentaschen und begann zu pfeifen.
Lass das sein, Jo, es ist so burschikos.
Deshalb tu ich’s eben!
Ich verabscheue rohe, unweibliche Mädchen.
Ich hasse zimperliche Zierpüppchen.
Vöglein im Nest vertragen sich, sang Betty, die Friedensstifterin, mit so spaßhafter Miene, dass beide ärgerlichen Gesichter sich zu einem Lachen aufklärten und das »Hacken« eine Zeit lang unterblieb.
Wirklich, ihr Mädchen, ihr seid beide zu tadeln, begann Meg, die sich als älteste Schwester des Rechts der Rüge bediente. Du bist alt genug, Josephine, um diese knabenhaften Manieren beiseitezulassen und dich besser betragen zu lernen. Als du ein kleines Kind warst, kam nicht viel darauf an, doch nun, da du so groß bist und dein Haar aufgebunden trägst, solltest du daran denken, dass du eine junge Dame bist.
Ich bin keine! Und wenn das Haaraufstecken mich zu einer macht, so will ich’s in zwei Zöpfen hängen lassen, bis ich zwanzig Jahre alt bin!, rief Jo, indem sie ihr Netz vom Kopf riss und ihre nussbraune Mähne schüttelte. Ich mag gar nicht daran denken, dass ich zu einer Miss March heranwachsen, lange Kleider tragen und steif wie eine Porzellanaster aussehen soll. Es ist sowieso schrecklich genug, ein Mädchen zu sein, wenn man Knabenspiele, Knabenarbeit und Manieren liebt. Ich kann meinen Ärger, dass ich kein Knabe bin, nicht verwinden, und jetzt quält er mich mehr denn je, wo ich so gern mit Papa in den Krieg gezogen wäre und nun zu Hause bleiben und wie eine wackelige alte Frau Strümpfe stricken muss.
Dazu schüttelte Jo den blauen Soldatenstrumpf, dass die Nadeln wie Kastagnetten klapperten und das Knäuel im Zimmer umherhüpfte.
Arme Jo! Es ist zu schlimm! Doch da es nun einmal nicht zu ändern ist, musst du dich damit begnügen, deinem Namen einen männlichen Klang zu geben und uns drei Schwestern gegenüber Bruder zu spielen, sagte Betty, indem sie den wirren Kopf, der...