: Dietmar Krug
: Von der Buntheit der Krähen
: Otto Müller Verlag
: 9783701362752
: 1
: CHF 19.00
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: Erzählende Literatur
: German
: 402
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Thomas kehrt nach vielen Jahren in sein Heimatdorf zurück und findet es in einer Art Ausnahmezustand vor: Eine Bürgerwehr hat sich gebildet, aufgestachelt von der Angst vor allem Fremden. In dieser Atmosphäre zwischen Paranoia und Gewaltbereitschaft trifft Thomas seinen Jugendfreund Karl wieder - auch er kehrt nach langer Zeit zurück ins Dorf. Beide waren damals Außenseiter und sind es geblieben. Während Thomas erschöpft und ausgebrannt eine Auszeit nehmen will, ringt Karl sich zu einem späten Coming-Out durch und stellt sich in Frauenkleidern den Dorfbewohnern. Im Verlauf des Romans brechen sich uralte Kränkungen ihre Bahn, entladen sich Jahrzehnte lang schwelende Spannungen plötzlich in offener Aggression. Thomas muss sich verdrängten Wünschen und Sehnsüchten stellen, denn er begegnet auch seiner Jugendliebe Karin, die das Dorf nie verlassen hat - ein Wiedersehen mit überraschenden Folgen.

Dietmar Krug geboren 1963 im Rheinland, studierte in Aachen und Wien Germanistik, Philosophie und Geschichte. Er promovierte 1996 über Thomas Mann. Seit 1988 lebt Krug in Wien, war dort zunächst freier Verlagslektor, bevor er 2004 in den Journalismus wechselte. Als Autor, Kolumnist und Redakteur hat er für diverse Medien gearbeitet, u. a. 'Die Zeit', 'Die Presse', 'Der Standard'. Mittlerweile lebt Krug als freier Schriftsteller und arbeitet an einem neuen Roman.

Das Kleid


Durch das geöffnete Sichtfenster des Traktors trieb ihm der nächtliche Fahrtwind den herbstlichen Nieselregen entgegen. Das Gesicht des Fahrers glänzte vor Nässe im Schein der wenigen Straßenlampen, die starken Wangenknochen über den stetig mahlenden Kiefermuskeln waren gerötet, sein langes dunkles Haar hing ihm in wirren Strähnen in Stirn und Nacken. Er versuchte dennoch nicht, das Fenster herunterzuklappen, weil er wusste, dass der Scheibenwischer klemmte und er deshalb in der Dunkelheit schon bald nichts mehr von der regennassen Straße sehen würde, die abseits des Dorfes zunächst an vereinzelt liegenden Häusern und dann nur mehr an gemähten Weiden und leeren Äckern vorbeiführte. Der Blick des Lenkers war starr geradeaus gerichtet, die tief liegenden Augen stärker noch als sonst zu dunklen Schlitzen verengt, um dem Regen und der schlechten Sicht zu trotzen.

Der Traktor stieß Rauchwolken in die Nacht, aus einem vom Rost durchlöcherten Auspuff, der seine schalldämpfende Wirkung gänzlich eingebüßt hatte. Wenn der Fahrer im Schein einer plötzlich auftauchenden Straßenlampe ein Gehöft passierte, drosselte er das ohnehin schon niedrige Tempo zur Schleichfahrt, um das Knattern des Motors in ein dumpfes Puffen übergehen zu lassen. Bei einem Hof am Fuß eines lang gestreckten Hügels brannte noch Licht, eine Bäuerin trat in Regenkluft aus einer Stalltür, sie hielt sich schützend die Hand über die Augen und spähte in die Richtung des Traktors.

Der Fahrer registrierte sie aus den Augenwinkeln, ohne den Kopf zu bewegen, und fuhr weiter. Fröstelnd hob er die breiten Schultern, er biss die Zähne zusammen, seine Kiefermuskeln traten noch stärker hervor. Die Nässe war inzwischen in seine Kleidung gedrungen, hatte seinen militärgrünen Parka durchweicht, seine Arbeitshose war auf den Oberschenkeln schon dunkel vor Feuchtigkeit. Noch verhinderte der untere Teil des Kleids, den er faltig hochgeschoben unter der Hose trug, dass sein Unterleib nass wurde. Doch das eng anliegende Oberteil klebte bereits unter dem schweren Flanellhemd auf seiner rasierten Brust.

An einer unb